Marokko: Anknüpfungspunkte für die deutsche Bildungswirtschaft

Aufgrund der Vielzahl von Herausforderungen, mit denen die marokkanische Berufsbildung konfrontiert ist, gibt es für Angebote der deutschen Bildungswirtschaft Marktchancen in verschiedenen Wirtschaftszweigen. Einen ersten Eindruck vermittelt der Artikel aus der neuen iMOVE-Marktstudie Marokko.

Mann hält eine Jungpflanze hoch und erklärt jungen Männern etwas
 

Schulungsszene in einem Gewächshaus

Anknüpfungspunkte für deutsche Bildungsanbieter bestehen in vielerlei Hinsicht, insbesondere aufgrund der Vielzahl an Herausforderungen, mit denen sich das marokkanische Berufsbildungssystem konfrontiert sieht. Gleichzeitig können Marktchancen in verschiedenen Wirtschaftszweigen identifiziert werden.

Der anhaltende Fachkräftemangel stellt die marokkanische Wirtschaft vor Herausforderungen. Rund 30 Prozent, also mehr als 2,4 Millionen Marokkanerinnen und Marokkaner, sind im informellen Sektor beschäftigt. Dieser Teil der Wirtschaft ist aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen besonders von ökonomischen Krisen betroffen.  Die marokkanische Regierung ist deshalb bestrebt, Maßnahmen zur Qualifizierung von Arbeitslosen, jungen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im informellen Sektor zu ergreifen, um den Eintritt in den formellen Sektor zu ermöglichen.

Der Bedarf an Aus- und Weiterbildungsangeboten im informellen Sektor ist hoch und jegliche Art von Schulungen und Fortbildungsprogrammen, die den Übergang in den formellen Sektor ermöglichen, dürften auf eine hohe Nachfrage treffen.

Ein weiterer Anknüpfungspunkt ergibt sich für deutsche Anbieter bei der Beratung öffentlicher Stellen zur Ausarbeitung von Qualitätsstandards. Die Umsetzung des Qualitätssicherungssystems in Marokko weist derzeit noch Lücken auf und nicht alle Ausbildungsbereiche werden adäquat abgedeckt.

Aktuell arbeitet das Départment de la Formation Professionnelle (DFP) deshalb an der Entwicklung eines einheitlichen Qualitätssicherungssystems für alle öffentlichen und privaten Berufsbildungseinrichtungen, das die Selbstbewertung dieser Einrichtungen, ihre externe Bewertung und ihre Akkreditierung/Zertifizierung anhand eines bestimmten Standards umfassen wird. Hier gilt es, die Entwicklungen der kommenden Jahre zu beobachten. Mit dem Angebot von Beratungsanalysen und Beratungsleistungen, beispielsweise in der Ausarbeitung von Qualitätsstandards oder der Aktualisierung und Entwicklung von Curricula, können deutsche Anbieter im marokkanischen Markt aktiv werden.

Ein weiterer zentraler Bereich, in dem deutsche Anbieter anknüpfen können, ist die Ausbildung und der Aufbau von Kapazitäten bei betrieblichen Ausbilderinnen und Ausbildern, Lehrkräften und Managementpersonal.

Bei der nachhaltigen Verbesserung der marokkanischen Berufsbildung insgesamt ist dieser Punkt zentral. In diesem Zusammenhang sind vor allem Train-the-Trainer-Programme gefragt. Programme, welche ihren Fokus auf die Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften legen, dürften deshalb eine hohe Nachfrage generieren.

Weiterhin bestehen Marktchancen bei der Ausstattung von Ausbildungszentren. Die Ausstattung in den öffentlichen Schulen ist teils defizitär und es gibt zu wenig Geräte, an denen Auszubildende ihre theoretisch erlernten Kenntnisse anwenden und vertiefen können. Hier können deutsche Anbieter anknüpfen.

Der nationale Bildungsfahrplan sieht den Aufbau einer neuen Generation von Berufsbildungszentren in den zwölf Regionen Marokkos vor. Insgesamt sollen zwölf Berufsbildungszentren entstehen. Der Minister für Nationale Bildung, Ausbildung, Höhere Bildung und Wissenschaftliche Forschung sprach in diesem Zusammenhang von der Schaffung sogenannter Cities of Professions and Skills. Der Baubeginn aller zwölf Einrichtungen soll bis zum Jahr 2023 erfolgen. Im Fokus der Einrichtungen stehen Bildungsmaßnahmen, die den Besonderheiten und dem Potenzial der jeweiligen Region gerecht werden.

Landwirtschaft

Die Landwirtschaft ist in Marokko einer der wichtigsten Wirtschaftszweige, was sich insbesondere auch in den hohen Beschäftigungszahlen widerspiegelt. Rund 45 Prozent der arbeitsfähigen marokkanischen Bevölkerung sind im Agrarsektor tätig.

Im Jahr 2008 wurde das Reformprogramm Plan Maroc Vert (PMV) von der marokkanischen Regierung verabschiedet, welches darauf abzielt, den Agrarsektor innerhalb von 15 Jahren zu einem der Wachstumsmotoren der Volkwirtschaft zu transformieren. Diese Bestrebung soll durch Investitionsmaßnahmen zur Modernisierung der Agrarwirtschaft erreicht werden. Faktoren wie das stetige Bevölkerungswachstum, die Abhängigkeit vom Niederschlag und der Klimawandel stellen die landwirtschaftliche Produktion jedoch zunehmend vor Herausforderungen.

Es besteht deshalb ein Bedarf an Schulungen zur effizienten und nachhaltigen Produktion. Gleichzeitig fehlt es an moderner Landwirtschaftstechnik, die die Effektivität und Leistungsfähigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe erhöht. Weitere Anknüpfungspunkte für Weiterbildungsmaßnahmen ergeben sich dadurch in den Bereichen unternehmerische Führung und der effizienten Wartung von landwirtschaftlichen Maschinen. Aktiv in diesem Bereich ist beispielsweise das Deutsch-Marokkanische Exzellenzzentrum für Landwirtschaft, welches unter anderem Schulungsangebote zu diesen Themen anbietet.

Automobilindustrie

Die Automobilindustrie in Marokko zählt zu den größten auf dem afrikanischen Kontinent. Die Regierung Marokkos hat das Potenzial der Branche bereits früh erkannt und Pläne entwickelt, um die Automobilindustrie im Land zu stärken und die Zulieferindustrie auszubauen.

Dafür hat die Regierung Freihandelszonen geschaffen, lockt mit Investitionsanreizen und fördert die Ausbildung von Fachkräften. Neben Renault und der PSA Gruppe haben sich so in den vergangenen Jahren auch zahlreiche Komponenten- und Teilehersteller etabliert. Auch verschiedene deutsche Teilehersteller wie Leoni, Kromberg & Schubert oder Pretti sind an unterschiedlichen Standorten in Marokko aktiv. 2019 waren insgesamt 250 Automobilunternehmen in Marokko aktiv, die wiederum 220.000 Arbeitsplätze bereitstellten.

Neue Produktionsstätten erhöhen den Bedarf an qualifizierten Fachkräften. Gleichzeitig steigt der Anspruch an Kfz-Mechatronikerinnen und -Mechatroniker durch die zunehmende Kfz-Elektrifizierung und Digitalisierung immer weiter.

Tourismus

Der Dienstleistungssektor macht den größten Teil der Wertschöpfung der marokkanischen Wirtschaft aus. Traditionell nimmt in diesem Zusammenhang die Tourismusbranche eine zentrale Rolle, insbesondere bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze, ein.

Im Jahr 2020 belief sich der Anteil der touristischen Wertschöpfung am gesamten Bruttoinlandsprodukt (BIP) auf 9,8 Prozent. Der Ausbau der Tourismuswirtschaft ist im Fokus der Vision 2020 des Ministeriums für Tourismus. Die Reformen umfassen unter anderem Maßnahmen zur Steigerung der Qualität der Ausbildung, um besser auf die Bedürfnisse der Branche zu reagieren.

Zu den konkreten Schritten zählen die Diversifizierung des Ausbildungsangebots und die Umstrukturierung der Ausbildungseinrichtungen. Ebenso sollen internationale Partnerschaften für die Ausbildung im Gastgewerbe geschlossen werden.

In den Küstenregionen Souss-Massa und Béni Mellal-Khénifra des Hochatlasgebirges konnte durch ein Pilotprojekt des Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) der nachhaltige Tourismus in ländlicheren Gebieten Marokkos gefördert werden. Mit Unterstützung der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) konnten lokale Partner das bestehende touristische Angebot erweitern und neue innovative Angebote, wie Öko-Lodges, entwickeln. Das Vorhaben richtet sich ebenfalls an lokale kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die hochqualitative Naturprodukte wie Arganöl herstellen, welches dann an die Touristen verkauft wird. Neben dem Umweltschutz priorisiert das Vorhaben die maximale Ausschöpfung des Beschäftigungspotenzials mit speziellem Fokus auf weibliche und junge Arbeitslose.

Erneuerbare Energien

Mit einem stetig wachsenden Bevölkerungswachstum und den Industrialisierungsstrategien der Regierung steigt auch der Energiebedarf Marokkos. Aufgrund der weitreichenden Wüstengebiete bietet Nordafrika ideale Voraussetzungen für die regenerative Energiegewinnung mittels solarthermischer Anlagen. Erreichte Fortschritte bei laufenden und sich in Planung befindenden Projekten haben bereits dazu beigetragen, dass Marokko seine Zielsetzung für den Anteil erneuerbarer Energien am Strommix für das Jahr 2030 von bislang angestrebten 52 Prozent auf 64,3 Prozent erhöhen konnte.

Mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Union (EU) hat Marokko bereits drei Trainingsinstitute in Oudja, Tangiers und Ouarzazate für die Bereiche Erneuerbare Energien und Energieeffizienz (Instituts de Formation aux Métiers des Energies Renouvelables et de l'Efficacité Energétique, IFMEREE) errichtet. Schwerpunkte der Berufsbildungszentren liegen in den Bereichen Solar-Photovoltaik, Solarthermie, Concentrated Solar Power, Wind, Biogas und Energieeffizienz.

Das Potenzial, große Mengen an Solarstrom zu produzieren, will Marokko sich in Zukunft auch zunutze machen und grünen Wasserstoff für den Export herstellen. Deutschland, als möglicher Importeur des grünen Wasserstoffs, hat im Rahmen des deutsch-marokkanischen Wasserstoff-Abkommens, das im Juni 2020 in Berlin unterzeichnet wurde, seine Unterstützung beim Bau einer Wasserstoffproduktionsanlage zugesichert. Im Rahmen der Wasserstoffpartnerschaft erhält Marokko direkte Finanzhilfen in Höhe von insgesamt knapp 1,4 Milliarden Euro von Deutschland.

Gesundheit und Pflege

Das marokkanische Gesundheitswesen hat sich in den letzten 30 Jahren deutlich verbessert und ist im Vergleich zu anderen afrikanischen Staaten gut entwickelt. Dennoch steht es immer noch vor zahlreichen Herausforderungen.

Neben finanziellen Ressourcen fehlt es an Personal, insbesondere im staatlichen Gesundheitssystem, was sich auch auf die Qualität der medizinischen Versorgung auswirkt. Der Großteil medizinischer Ressourcen konzentriert sich dabei auf urbane Gegenden. Knapp die Hälfte aller Ärzte praktiziert in Casablanca und Rabat. Ein besonderer Schwerpunkt wird daher auf die Berufsausbildung im Gesundheitswesen gelegt, einschließlich paramedizinischer und medizintechnischer Fachkräfte.

Aber auch im Bereich der Wartung und Reparatur von medizinischen Geräten besteht ein großes Potenzial für die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen. Bereits eröffnet wurden zwei Berufsausbildungszentren für Gesundheitsberufe in Rabat und Casablanca.

Ein weiteres Trainingsinstitut in Beni Mellal, der Hauptstadt der Region Béni Mellal-Khénifra in der Landesmitte, ist bereits in der Bauphase. Dieses fokussiert sich auf Ausbildungsprogramme für Krankenwagenfahrerinnen und -fahrer, Hygienikerinnen und Hygieniker sowie Radiologietechnikerinnen und -techniker.

Infrastruktur, Transport und Logistik

Fachkräfte im Infrastrukturbereich sind in Zukunft ebenfalls zunehmend gefragt. Absolventinnen und Absolventen mit einschlägiger Berufsbildung bietet der Infrastruktursektor ein großes Potenzial nachhaltiger Beschäftigungsmöglichkeiten.

Der Ausbau von Transport- und Logistikinfrastruktur gilt als der Schlüssel des fortschreitenden Wirtschaftswachstums in Marokko. Mit der Entwicklung des Landes und der Ausdehnung der städtischen Gebiete nehmen die Interkonnektivität der Wirtschaftszentren und effiziente Verbindungen zum Rest der Welt eine bedeutende Rolle ein, um das Wachstum anderer Sektoren wie Landwirtschaft, verarbeitendes Gewerbe und Tourismus zu unterstützen.

Derzeit befindet sich das erste Institut für Ausbildung in Transport- und Logistikinfrastruktur im Bau. Hier sollen Auszubildende in den Bereichen Lagerwirtschaft, Transport- und Logistikbetrieb und Industrielogistik geschult werden. In diesem Bereich besteht großes Potenzial für weitere internationale Partnerschaften, beispielsweise im Rahmen neuer Trainingszentren.


iMOVE-Marktstudie Marokko

Titel der Marktstudie Marokko
Der Artikel ist ein Auszug aus der iMOVE-Marktstudie Marokko für den Export beruflicher Aus- und Weiterbildung, die kürzlich erschienen ist. In der Marktstudie finden Sie alle für den Artikel verwendeten Quellen.

zum Download der Studie


Quelle: iMOVE, Auszug aus der iMOVE-Marktstudie Marokko für den Export beruflicher Aus- und Weiterbildung, 2023