iMOVE-Länderseminar Vietnam

    Aktuelle politische und wirtschaftliche Entwicklung

    Dr. Stefanie Schmitt von Germany Trade & Invest (GTAI) berichtete über die aktuelle politische und wirtschaftliche Entwicklung in Vietnam.

     

    Das Land, das in seiner Fläche und Einwohnerzahl in etwa mit Deutschland vergleichbar ist, kann als ein Land im Kommen bezeichnet werden. Die wirtschaftlichen Reformen seit 1986 haben inzwischen Früchte getragen:

     

    • Der durchschnittliche Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in den Jahren 2001 bis 2011 betrug 7,3 Prozent jährlich.
    • Für 2012 wurde ein BIP-Zuwachs von 5,3 Prozent prognostiziert.

     

    Das ambitionierte Ziel der kommunistischen Einparteiregierung ist es, bis 2020 in die Liga der Industrienationen aufzusteigen.

     

    Zu den boomenden Sektoren gehören derzeit: Chemie, Energie, Textil und Bekleidung, Nahrungsmittelverarbeitung und Medizintechnik.

     

    Im Vergleich zu dem großen Nachbarn China sind die Lohnkosten um fast die Hälfte niedriger. Das macht Vietnam als Produktionsstandort trotz starker Lohnkostensteigerung attraktiv.

     

    Arbeitskräftemangel und niedrige Produktivität, die auf eine unzureichende Ausbildung zurückzuführen sind, stellen jedoch eine große Herausforderung für die Zukunft dar.

     

    Zu den aktuellen Problemen zählen weiter die Bankenkrise, hohe Inflationsraten, Umweltverschmutzung und Korruption.

    Stellenwert der Bildung in der Gesellschaft

    Professor Dr. Wilfried Lulei von der Deutsch-Vietnamesischen Gesellschaft verfügt über 50 Jahre Vietnam-Erfahrung. Mit diesem Wissen erläuterte er den Stellenwert der Bildung vor dem Hintergrund der vietnamesischen Geschichte und Kultur. Zudem erklärte Lulei die vietnamesischen Verhaltensregeln und Handelsweisen.

     

    Bildung hat in Vietnam eine Jahrtausend alte Tradition und genießt ein extrem hohes Ansehen.

     

    Die Eltern sind bereit, für die Bildung ihrer Kinder hohe Summen aufzuwenden. Die Kinder und jungen Erwachsenen zeichnen sich durch eine außerordentlich hohe Lernmotivation aus.

     

    Der Zugang zur Bildung ist jedoch oft schwer. Nur in großen Städten und Ballungszentren bestehen Bildungseinrichtungen mit guter personeller und materieller Ausstattung. Nur die Grundschulausbildung ist kostenlos.

     

    Beeinflusst durch das Ideal der konfuzianischen Bildung, die die Chinesen vor 2000 Jahren ins Land brachten und die auf die Entwicklung der literarischen Fähigkeiten ausgerichtet ist, genießen naturwissenschaftliches und technisches Wissen traditionell kein großes Ansehen. Ähnlich verhält es sich mit Handwerk und Handel.

     

    Bei der Zusammenarbeit mit Vietnamesen ist es wichtig zu beachten, dass sie beziehungs- und nicht sachorientiert handeln.

     

    Persönliche Beziehungen müssen aufgebaut und gepflegt werden. Gemeinschaftsinteressen gehen vor Einzelinteressen. Es ist wichtig, einer Gemeinschaft anzugehören oder in diese aufgenommen zu werden.

     

    Hierarchie geht vor Kompetenz. Streit und offene Auseinandersetzungen sollten vermieden werden. Probleme und Aufgaben geht man durch indirekte Kommunikation an. Bei der sachlichen Problembewältigung wird eher empirisch und pragmatisch gehandelt, ohne zuerst nach theoretischen Lösungen zu suchen.

     

    Und: Eigenlob empfinden Vietnamesen schnell als Arroganz. Besser ist es, sich von anderen loben zu lassen.

    Entwicklungen im Beschäftigungssektor und in der beruflichen Bildung

    Minh-Tuan Nguyen von der Koordinierungstelle Weiterbildung und Beschäftigung (KWB) stellte die Veränderungen im Beschäftigungssektor und in der beruflichen Bildung in Vietnam vor, aus denen sich Chancen für deutsche Bildungsanbieter ergeben können.

     

    Das Vorhaben der Regierung, Vietnam bis 2020 zu einem Industrieland zu entwickeln, geht mit einer veränderten Zusammensetzung der Beschäftigten in verschiedenen Sektoren einher.

     

    Während 2010 nur 23 Prozent der vietnamesischen Arbeitskräfte in der Industrie beschäftigt waren, soll deren Anteil bis 2020 auf 63 Prozent wachsen.

     

    50 Prozent der Beschäftigten sollen bis 2020 eine Berufsausbildung erhalten haben. Das ist ein ambitioniertes Ziel, denn im Jahr 2006 waren noch fast 75 Prozent der Arbeitskräfte ungelernt.

     

    Die Situation auf dem Arbeitsmarkt zeichnet sich durch einen großen Mangel an qualifizierten Fachkräften in fast allen Bereichen aus. Die Arbeitnehmer, die eine Berufsschul- oder Hochschulausbildung erhalten haben, müssen in den Unternehmen oft nachqualifiziert werden.

     

    Diese Situation hat zur Folge, dass Vietnam an Wettbewerbsfähigkeit verliert, so die Meinung von Experten.

     

    Der vietnamesischen Regierung ist bewusst, dass die Berufsbildung des Landes quantitativ und qualitativ verbessert werden muss. Ein Zeichen für den Veränderungswillen ist das Berufsbildungsgesetz von 2006, das den Markt für private Anbieter der beruflichen Bildung öffnet.

     

    Chancen für deutsche Anbieter sieht Minh-Tuan Nguyen darin, qualitativ hochwertige und den Anforderungen des Arbeitsmarktes angepasste Bildungsangebote mit dualen Elementen zu liefern.

     

    In der Aus- und Weiterbildung von Ausbildern sowie im Bildungsmanagement besteht in Vietnam ein riesiges Defizit.

    Systemische Beratung Vietnams durch das BIBB

    Michael Wiechert und Ilona Medrikat vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) berichteten über die systemische Beratung in der beruflichen Bildung, die das BIBB in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Vietnam tätigt.

     

    Seit 2000 unterstützt das BIBB das vietnamesische Arbeitsministerium MOLISA bei der strategischen Planung der Berufsbildung. Dabei empfiehlt das BIBB der Regierung Vietnams eine klare Aufteilung der Zuständigkeiten und eine Zentralisierung der Aufgaben in der Berufsbildung.

     

    Klare Zuständigkeiten in Fragen der Berufsbildung würden auch das Engagement deutscher Bildungsanbieter in Vietnam wesentlich erleichtern.

     

    Zur Beratungsarbeit des BIBB gehören unter anderem:

     

    • Berufsstandardisierung
    • Berufsklassifizierung
    • Lehrplanentwicklung
    • Prüfung
    • Zertifizierung
    • Sicherstellung der Durchlässigkeit zur Hochschulbildung,
    • Zentralisierung der Lehr- und Lernmaterialentwicklung
    • staatliche und nichtstaatliche Finanzierung der Berufsbildung
    • Erstellung eines Berufsbildungsberichts

     

    Die einzelnen Themen wurden in den letzten Jahren in einer Reihe von Expertenworkshops, Seminaren und Studienaufenthalten vietnamesischer Experten in BIBB behandelt.

     

    Der erste Berufsbildungsbericht der vietnamesischen Regierung wird auf einer regionalen TVET-Konferenz (TVET: Technical and Vocational Education and Training) der ASEAN-Staaten in Hanoi am 10. und 11. Oktober 2012 präsentiert.

    Moderator
    Hans-Gerhard Reh, iMOVE, moderierte das Länderseminar Vietnam
    Referentin
    Dr. Stefanie Schmitt, GTAI, berichtete über die aktuelle politische und wirtschaftliche Entwicklung Vietnams
    Referent
    Professor Dr. Wilfried Lulei, Deutsch-Vietnamesische Gesellschaft, erläuterte den Stellenwert der Bildung in Vietnam
    Referent
    Minh-Tuan Nguyen, KWB, stellte die Veränderungen im Beschäftigungssektor und in der beruflichen Bildung vor
    Referentin
    Ilona Medrikat, BIBB, berichtete über die systemische Beratung Vietnams in der beruflichen Bildung
    Referent
    Michael Wiechert,  BIBB, berichtete über die systemische Beratung Vietnams in der beruflichen Bildung
    Seminarraum mit Teilnehmern und Referent

    Qualifizierung von Bildungspersonal

    Michael Petzsche vom Berufsförderungswerk (BFW) Bau Sachsen stellte Aktivitäten zur Qualifizierung von Bildungspersonal aus Vietnam im Baubereich vor.

     

    Die Maßnahmen fanden im Rahmen eines Netzwerks mehrerer Konsortialpartner aus Deutschland (Konsortium GENEV: German Education Network for Employability in Vietnam) sowie aus vietnamesischen und deutschen Wirtschaftsunternehmen statt. Zum Teil finanzierten das deutsche Ministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und das vietnamesische Bauministerium die Ausbilder-Qualifizierungen.

     

    Die Vorbereitung auf ein vierwöchiges Train-The-Trainer-Programm beinhaltete zahlreiche Präsentationen in Schulen und Unternehmen, Verhandlungen mit Entscheidungsträgern und Besuche in Deutschland.

     

    Das Ausbildungsprogramm bestand aus einer einwöchigen theoretischen Ausbildung in Vietnam, bei der die Teilnehmer das deutsche dualen Berufsbildungssystem kennenlernten. Es folgte ein dreiwöchiges fachpraktisches Training in Deutschland mit Besuchen in Berufsschulen und Unternehmen.

     

    In seinem Vortrag lobte Petzsche das hohe theoretische Wissen und die Bildungsmotivation der Vietnamesen.

     

    Petzsche bestätigte und unterstrich die Wichtigkeit der persönlichen Beziehungen zu den vietnamesischen Partnern für eine nachhaltig erfolgreiche Zusammenarbeit.

    Einrichtung einer Schweißtechnischen Lehranstalt

    Peter Rechmann von der Handwerkskammer (HwK) Koblenz berichtete über die Erfahrungen der Kammer bei der Einrichtung einer Schweißtechnischen Lehranstalt in Vietnam.

     

    Schweißtechnik ist ein umfassend regulierter Bereich. Die Schweißtechnische Lehranstalt Hanoi wurde durch den deutschen Verband für Schweißen und verwandte Verfahren (DVS) zugelassen und hat die regelmäßige Auditierung seitens des Verbandes DVS mehrmals erfolgreich bestanden.

     

    Nach Rechmanns Erfahrung besitzen die vietnamesischen Partner ein gutes technisches Ausbildungsniveau. Ehrgeiz, Lern- und Erfolgskultur der Teilnehmer machen den technologischen Rückstand teilweise wett.

     

    Es besteht ein großes Interesse an Deutschland und Europa. "Made in Germany" ist hoch angesehen.

     

    Bei der Wahl der staatlichen oder halbstaatlichen Partner vor Ort sollte man sich darüber bewusst sein, dass diese oft in einem Konkurrenzverhältnis stehen und versuchen, ähnliche Vorhaben parallel zu implementieren.

     

    Staatliche Organisationen haben im Marketing, beispielsweise bei der Vermarktung von Kursen, bei der Kundenpflege oder der Öffentlichkeitsarbeit noch große Defizite.

     

    Schließlich ist es sehr wichtig, die vorgeschriebenen Dienstwege strikt einzuhalten, so Rechmann. Denn darauf legt man in Vietnam sehr großen Wert.

     

    Neben den offiziellen Hierarchien gibt es weitere politische und informelle Hierarchien und Netzwerke, die eine wichtige Rolle bei Entscheidungs- und Arbeitsprozessen spielen. So kennen und helfen sich viele "Auslands-Vietnamesen" untereinander, die gemeinsam zum Beispiel in Deutschland studiert haben oder zur Schule gegangen sind.

    Qualifizierung im Bereich Metall

    Dr. Bernhard Beckmann vom Europäischen Bildungswerk für Beruf und Gesellschaft (EBG) schilderte die Aktivitäten und Vorhaben der EBG im Metallbereich in Vietnam.

     

    Im Rahmen eines Public Private Partnership (PPP) mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) führt die EBG eine Qualifizierung von CNC-Fachkräften entsprechend den Bedarfen der vietnamesischen und internationalen Unternehmen durch. (CNC: Computerized Numerical Control, computergestützte numerische Steuerung).

     

    Im Rahmen des PPP-Projekts werden darüber hinaus Lehrpläne sowie Lehr- und Lernmittel entwickelt.

     

    Das Projekt wird in mehreren Schritten durchgeführt, wobei die besten Teilnehmer im Ausbildungsprogramm auch an einem 12-wöchigen Training in Deutschland teilnehmen werden.

     

    Für die EBG ist die Zusammenarbeit mit GIZ von Vorteil, da es von der Markt- und Strukturerfahrungen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit profitieren kann. Dies erleichtert der EBG den Markteinstieg in Vietnam.

    Hindernisse beim Geschäftsaufbau

    Markus Kamann von gpdm international sprach über Fallstricke und Hindernisse bei der Geschäftsentwicklung in Vietnam.

     

    Kamann wertet die aktuelle sozio-ökonomische Lage des Landes mit Bankenkrise, hoher Inflation und Korruption als ungünstig. Bei den immer noch positiven Wachstumsraten ist bereits ein Abwärtstrend zu erkennen. 

     

    Auch die unklaren Zuständigkeiten sind in der Geschäftspraxis ein Problem. So sind mehrere Landesministerien in der Berufsausbildung tätig, aber eine klare Verteilung von Aufgaben oder Verantwortlichkeiten gibt es nicht.

     

    Im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit gibt es in Vietnam eine Vielzahl internationaler Geber, deren Aktivitäten nicht koordiniert sind. 

     

    Auf deutscher Seite sind immer mehr öffentliche Stellen und Interessenvertretungen der Industrie im Bereich des Bildungsexports aktiv. Diese Entwicklung erschwert das Auslandsengagement deutscher Bildungsanbieter ganz erheblich. Das gilt nicht nur für Vietnam, so Kamann. 

     

    Eine weiteres Problem ist, dass weitergebildete Ausbilder in Vietnam oft in die Wirtschaft wechseln. Aufgrund der erworbenen Zusatzqualifikation eröffnen sich den Fortgebildeten auch in der eigenen Organisation neue Karrierechancen, die sie nutzen. Das hat zur Folge, dass das Defizit an qualifiziertem Ausbildungspersonal trotz Weiterbildungsmaßnahmen nicht behoben wird.

     

    Vor diesem komplizierten Hintergrund ist es laut Kamann schwer einzuschätzen, welche Art von Bildungsdienstleistungen für welche Kunden erfolgreich angeboten werden können.

    Begünstigende Exportfaktoren

    Die kontroversen Überlegungen des letzten Erfahrungsberichts stießen eine lebhafte Diskussion an. Dabei ging die Runde auf mehrere Aspekte des Auslandsengagements ein.

     

    Bezüglich der Finanzierung diskutierten die Anwesenden darüber, ob die bestehenden Strukturen der Entwicklungszusammenarbeit den Markteintritt unterstützten oder eher erschweren.

     

    Einigkeit herrschte darüber, dass bei den Aktivitäten in Vietnam ein langer Atem erforderlich ist. Denn es kann lange dauern, bis der Return on Investment erreicht wird.

     

    Privatpersonen in Vietnam sind durchaus bereit, ihre Aus- und Weiterbildung selbst zu finanzieren. Dabei haben diejenigen Bildungsanbieter einen Wettbewerbsvorteil, die gut mit der lokalen Wirtschaft vernetzt sind. Ein weiterer Vorteil ist es, die Absolventen einer Ausbildung bei der anschließenden Arbeitsfindung zu unterstützen.

     

    Die Bereitschaft der Wirtschaftsunternehmen, sich an den Ausbildungskosten zu beteiligen könnte erreicht und gesteigert werden, indem die Bildungsdienstleister attraktive Finanzierungsmodelle für ihre Bildungsangebote entwickeln.

     

    Für den Erfolg in Vietnam ist die Zusammenarbeit mit lokalen Partnern und eine gute Vernetzung mit der lokalen Industrie und öffentlichen Stellen unabdingbar.

     

    Die "technischen Rahmenbedingungen" wie die Verfügbarkeit von Dolmetschern mit Kenntnissen des Bildungsvokabulars oder die Flugverbindungen zwischen Deutschland und Vietnam sind gut.

     

    Die oft gepriesenen Eigenschaften der Vietnamesen wie Lernwille und Fleiß verschaffen ihnen schnelle Erfolgserlebnisse und motivieren sie zur weiteren Bildung.

    Teilnehmer
    Referent
    Michael Petzsche, BFW Bau Sachsen, stellte Aktivitäten zur Qualifizierung von vietnamesischem Bildungspersonal vor
    Referent
    Peter Rechmann, HwK Koblenz, schilderte den Aufbau einer Schweißtechnischen Lehranstalt in Vietnam
    Teilnehmer
    Referent
    Dr. Bernhard Beckmann, EBG, berichtete über Qualifizierungen im Metallbereich
    Referent
    Markus Kamann, gpdm international, sprach über Hindernisse bei der Geschäftsentwicklung in Vietnam
    Teilnehmer
    Teilnehmer
    Seminarraum mit Referent und Teilnehmern