Echte Veränderung oder nur Augenwischerei? - Russland führt neue Ausbildungsstandards ein

Russland ist dabei, die Auswirkungen der Rezession der vergangenen Jahre abzuschütteln und zu seiner alten Form zurückzufinden. Damit dies erfolgreich gelingen kann, sind viele Veränderungen nötig. Zu diesem Wandel gehört auch eine verstärkte Internationalisierung – zumindest in den Bereichen berufliche Bildung und Ausbildungsstandards. Hier ergeben sich Anknüpfungspunkte für Aus- und Weiterbildungsanbieter aus Deutschland.

eine Sitzreihe mit mehreren Personen in einem Klassenraum

Im Juli 2016 trat in Russland ein Gesetz in Kraft, das Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber dazu verpflichtet, Bewerberinnen und Bewerber bei Neueinstellungen mit Hilfe vorgegebener Kriterien auf ihre Eignung für bestimmte Positionen und Tätigkeiten zu überprüfen. Kommt ein Unternehmen dieser Pflicht nicht nach und beschäftigt Personen, die die notwendigen Mindeststandards für die vorgesehene Position nicht erfüllen, muss mit hohen Strafen gerechnet werden.

Der Kriterienkatalog beinhaltet neben einem klar formulierten Jobtitel und einer Tätigkeitsbeschreibung auch eine Liste mit Qualifikationen und Fähigkeiten, über die Angestellte in bestimmten Positionen verfügen müssen. Die neuen Regelungen gelten branchenübergreifend und schon Ende 2016 befanden sich über 800 entsprechende Anforderungsprofile in der Datenbank des Ministeriums für Arbeit und Soziales. Bis Oktober 2018 war die Zahl auf 1.160 Standards für Berufsprofile gestiegen.

Die Anforderungsprofile, die in der Datenbank hinterlegt sind, erfordern gleichzeitig die Anpassung von Ausbildungsstandards an die geforderten Kompetenzen. Nach Aussage des russischen Bildungsministeriums soll so das Ausbildungssystem besser werden und entscheidend dazu beitragen, die Produktivität der russischen Wirtschaft zu steigern und Kosten zu senken. In der Folge soll die Wettbewerbsfähigkeit russischer Produkte auf dem Weltmarkt steigen.

Mit dieser ambitionierten Zielsetzung hat die Restrukturierung des Ausbildungssektors aktuell höchste Priorität in Russland.

Vorschau Russland

Titel der Marktstudie Russland

Im Sommer 2019 erscheint eine neue iMOVE-Marktstudie Russland für den Export beruflicher Aus- und Weiterbildung.

drei Frauen in einer Lernsituation mit Computer

Reform der Ausbildungen sollen Nähe zur Wirtschaft herstellen

Da das russische Bildungssystem in regelmäßigen Abständen reformiert wird, liegt die Vermutung nahe, dass es sich bei den jüngst verabschiedeten Gesetzen abermals um bloße Augenwischerei handeln könnte. Andererseits deutet jedoch vieles darauf hin, dass die aktuellen Reformbestrebungen tatsächlich in ein Programm eingebettet sind, dessen Ziel die systematische und nachhaltige Stärkung der russischen Wirtschaft ist.

Der neu veröffentlichte Katalog der Ausbildungsstandards legt ein besonderes Augenmerk auf Branchen, die die russische Regierung als Wachstumssektoren einstuft und daher für eine gezielte Förderung ausgewählt hat. Bemerkenswert in diesem Reformprozess ist, dass die Ausbildungsprofile von Verbänden, Konzernen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Privatpersonen mitgestaltet werden können. Dazu hat das russische Arbeitsministerium eine eigene Internetseite eingerichtet, auf der Anträge für die Anpassung von Ausbildungsprofilen eingereicht werden können.

Eine engere Verzahnung zwischen Wirtschaft und Berufsausbildung soll in Russland entscheidende Fortschritte in der Bekämpfung des allgegenwärtigen Fachkräftemangels ermöglichen und insbesondere den gebeutelten Mittelstand stärken. Aktuell dominieren große Energiekonzerne die Wirtschaft. Rohstoffe machen die überwältigende Mehrheit der russischen Exporte aus. Gerade im Hinblick auf die Endlichkeit dieser Ressourcen bedarf es einer dringenden Diversifizierung, die wiederum notwendiges Know-how im produzierenden Gewerbe voraussetzt.

Die Reform des Bildungssystems ist also nicht nur im Hinblick auf die Produktivität des Landes wichtig, sondern bildet das Fundament für eine stabile Wirtschaft.

Sollte es der russischen Regierung gelingen, die Berufsbildungsreformen positiv in der Öffentlichkeit zu platzieren und die Bedeutung der Berufe für die wirtschaftliche Stabilität hinreichend zu verdeutlichen, können die Veränderungen langfristig die Attraktivität von Ausbildungsberufen steigern. In einem Land, in dem Prestige und Außenwirkung eine große Bedeutung haben, könnte dies künftige Schülergenerationen dazu veranlassen, einen Ausbildungsberuf zu ergreifen.

drei Männer in einer Lernsituation: eine Person spricht, zwei Personen hören zu

Chancen für Bildungsanbieter aus Deutschland

Aus der Verschärfung der Einstellungskriterien wird sich eine neue Nachfrage nach Qualifizierungsangeboten entwickeln.

Einer der Gründe für die Reformen des russischen Ausbildungssystems ist, internationalen Standards gerecht zu werden. Auch vor diesem Hintergrund könnten internationale Bildungsanbieterinnen und Bildungsanbieter gefragter denn je werden.

Für deutsche Bildungsanbieter gilt es, Kurse anzubieten, die gezielt praktische Kenntnisse vermitteln. Besondere Chancen ergeben sich auch für Anbieter, die unabhängige Tests anbieten, um beispielsweise zu ermitteln, inwieweit Bewerberinnen und Bewerber gewisse Qualifikationen mitbringen oder nicht.

Es bleibt also abzuwarten, welche Akteure künftig auf dem russischen Ausbildungsmarkt mitmischen werden und ob die Regelung die gewünschte Wende auf dem Arbeitsmarkt einzuleiten vermag.
 

  • Autorin: Anna-Catharina Nunes-Heinzmann
  • Anna-Catharina Nunes-Heinzmann ist Mitautorin der neuen iMOVE-Marktstudie Russland, die im Sommer 2019 erscheint.

Quelle: iMOVE