Macht Schule im Irak: Ausbildung made in Germany

Der Wissensdurst im Irak ist enorm. Jetzt stillen ihn endlich auch deutsche Bildungsanbieter.


Hurra, Hurra die Schule kommt!

Der spätherbstliche Katalog war dick. Und viel zu schwer. Dr. Walter Riccius wusste gleich, dass er das nicht stemmen könnte. Der Geschäftsführer des Berliner Fortbildungsunternehmens Europanorat war dem Bildungshunger der Iraker aufgesessen. Die kurdischen Ministerien für Industrie und Bildung hatten im November 2008 ihre Wunschliste für berufliche Weiterqualifizierung vorgelegt, die vor keinem Sektor Halt machte: Riccius sollte Krankenschwestern trainieren, Erdölingenieure ausbilden und Handwerker fit machen. Alles zugleich. "Wir mussten da mit unseren Partnern intensive Gespräche führen", erinnert er sich. "Und das ganze eben auf zwei, drei Hauptfelder beschränken."

Akademiker als Multiplikatoren

Mit einer Delegation seines Unternehmens reiste Riccius im Februar dieses Jahres nach Erbil, traf dort Vertreter der Ministerien und auch den Bürgermeister der Stadt. "Wir haben vorgeschlagen, dass wir uns erst einmal auf Computertraining, Englischkurse und Lehrgänge im Organisationsmanagement konzentrieren. Denn das brauchen unsere kommunalen Partner für ihre Mitarbeiter in der Verwaltung am dringendsten." Europanorat wird sich auf Akademiker konzentrieren und diese als Multiplikatoren ausbilden - vorerst. Riccius hat bei anderen Engagements in der arabischen Welt gelernt, mit der Allgegenwärtigkeit von Verzögerungen umzugehen - und wartet doch jeden Tag ungeduldig auf die Zusage. Damit es endlich losgehen kann. Vielleicht schon im Spätherbst. Die Europanorat GmbH, eine Tocher der Grone Schulen, wäre der erste private deutsche Bildungsanbieter dem der Schritt auf den irakischen Berufsbildungsmarkt gelingt.

Angefangen hat alles ohne viel Aufsehen, ohne jegliche offizielle Unterstützung. Einfach mit irakischen Akademikern, die in Berlin auf ihre Rückkehr in ihre alte Heimat und dessen Arbeitsmarkt vorbereitet wurden. Einer der Absolventen stellte die Kontakte her – und Riccius war im Geschäft.

Bildungsexperten wundert das nicht. Dr. Katja Petereit vom Fachbüro Internationales Bildungsmanagement (FIB) in Bonn wird richtig schwindelig wenn sie die irakischen Lobeshymnen hört: "Die deutsche Produktqualität genießt im Irak einen sehr guten Ruf. Daraus wird dort die Erwartung abgeleitet, dass auch die Bildungsangebote qualitativ hochwertig sind und die Teilnehmer befähigen, dadurch selbst später entsprechendes leisten zu können." Petereit macht derzeit Dr. Muthanna al-Mahdawi, den Leiter des Akademischen Auslandsamtes der Universität Diyala, mit internationaler Hochschulkooperation vertraut.

Die Internationalisierung seiner Universität ist derzeit eine der top Prioritäten in Diyala; auch al-Mahdawi ist begeistert: "Die Vielfalt an Forschungs- und Ausbildungsmöglichkeiten in Deutschland ist überwältigend und es gibt hier exzellente Möglichkeiten für irakische Studenten und Wissenschaftler, den lang ersehnten (Wieder)einstieg in die internationale Wissenschaftsgemeinschaft zu schaffen."

Petereit ist sicher, dass deutsche Bildungsanbieter im Irak offene Türen einrennen: "Gerade in den Ingenieurwissenschaften oder auch im Bereich Life Science punktet das Siegel 'Made in Germany' ungeheuer. " Viel Enthusiasmus ist da dabei - auch bei dem von ihr konstatierten Schwenk des irakischen Interesses hin zu Deutschland, weg von Amerika im Bildungsbereich.

Deutsch-irakische Abschlüsse

Von einer solchen generellen Umorientierung will Britta Bergemann lieber nicht sprechen. Die Professorin für Marketing und Kommunikation lehrt seit 2007 im Irak. Die Fachhochschule Furtwangen, ihr Arbeitgeber, kooperiert mit der American University in Sulaymania in der Ausrichtung eines MBA-Programms. In Englisch, auf irakischem Boden, für irakische Professionals. Bergemann sieht statt eines Abflauens der amerikanischen Bildungsdominanz vielmehr eine zunehmende Präsenz angelsächsischer Angebote.

Aber deutsche Bildung ist dadurch nicht automatisch zum Schattendasein verdammt. "Dass wir einen doppelten deutsch-irakischen Abschluss anbieten ist ein wichtiges Verkaufsargument. Zumindest im Marketingbereich ist der deutsche Ansatz viel internationaler, zum Beispiel was die Auswahl unserer konkreten Firmenbeispiele im Unterricht anbelangt. Wir sind als Exportweltmeister da eben sehr glaubwürdig. Riesige Chancen sehe ich im Irak aber gerade auch in der Handwerksausbildung. Die ist in ihrer deutschen Solidität und dualem Charakter weltweit einmalig."

Der einmalige Charakter der deutschen Ausbildungslandschaft kann aber auch eine Schwäche sein. Deutsche Bildungsanbieter sind oftmals vorsichtig, was jegliches Engagement jenseits der bundesdeutschen Grenzen anbelangt, sagt Sabine Gummersbach-Majoroh von iMOVE, einer Initiative, die für den Export deutscher Weiterbildungsansätze fördern soll. "Wir versuchen erst einmal, die Leute für leichtere Länder zu motivieren. Als der Irak bei einer Konferenz in Amman letzten Dezember auch auf der Tagesordnung stand, habe ich da kein besonderes Interesse deutscher Bildungsträger gespürt."

Probieren geht über studieren

Und wer versteht im Irak schon das deutsche Zusammenspiel von Betrieben und Berufsschulen? Georg Haller ist froh, dass er das Wort "dual" gar nicht so oft in den Mund nehmen musste, wenn er im Irak unterwegs ist.

Der Leiter des Baden-Württembergischen Ablegers der Deutschen Lehranstalten für Agrartechnik (Deula) plant von Kirchheim/Teck aus den Aufbau einer landwirtschaftlichen Schule im Irak. "In Deutschland sind wir für überbetriebliche Ausbildung in den grünen Berufen zuständig. Wir ergänzen und vertiefen was im Betrieb und in der Berufsschule gelernt wird. Dabei sind wir eben sehr praktisch orientiert. Das hilft uns im Irak ungemein, weil wir keine Schwellenanforderungen stellen. Selbst wenn jemand Defizite beim Lesen und Schreiben hat können wir ihn mit aktueller Produktionstechnik und neuen landwirtschaftlichen Maschinen vertraut machen."

Haller hat sich vor allem im Nordirak umgesehen, Standorte sondiert und evaluiert, wie es um die Struktur des Sektors, kleiner und großer bäuerlicher Betriebe bestellt ist. Auch für den Südirak gibt es Gespräche, aber die Informationen über bäuerliche Betriebe dort sind rar. Haller ist zuversichtlich, dass der Unterrichtsbetrieb an einer Schule schon im Laufe des nächsten Jahres beginnt. "Aber auch der irakische Staat muss sich einbringen. Da sind wir derzeit noch am Verhandeln. Denn so eine Einrichtung wird kein Selbstläufer."

Während private deutsche Anbieter bisher also nur vereinzelt aktiv sind, läuft es über die offiziellen deutschen Kanäle schon weitaus besser. Die Arbeitsgruppe Entwicklung und Fachkräfte im Bereich der Migration und Entwicklungszusammenarbeit (AGEF) hat in den im Februar eingeweihten Räumen des European Technology and Training Centers (ETTC) in Erbil ihre Arbeit aufgenommen. Im Auftrag des Auswärtigen Amtes bietet sie Angebote für Rückkehrer und arbeitsuchende Iraker. Kompetenzen werden in Bereichen wie KfZ, Mechanik, Sanitär und Elektrik vermittelt. Fach- und Führungskräfte aus der öffentlichen Verwaltung sollen für ihre Aufgaben professionalisiert werden.

Inwent, die Weiterbildungstochter des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), schult bereits seit 2005 Leiter irakischer Berufsschulen und Bildungsplaner der Ministerien in Ägypten, Jordanien und Deutschland. Dabei geht es um nicht weniger als die Umkremplung des Systems von Berufsausbildung an sich. Das ist von außen aber schwierig. Daher ist Projektleiterin Martina-Müller Norouzi froh, dass ihre Organisation in einem separaten Vorhaben bald direkt im kurdischen Teil des Landes tätig werden soll: "Bis jetzt kann man noch nicht von erfolgreichen Schritten sprechen. Es tummeln sich einfach auch zu viele Organisationen wie Unesco oder ILO mit dem gleichen Ziel, die Ministerien beraten."

Die strategische Partnerschaft mit irakischen Hochschulen, die der DAAD (Deutscher Akademischer Auslandsdienst), dieses Jahr aufgelegt hat, lässt sich gleichermaßen konkret an. An der Teschnischen Universität Berlin werkelt man an Projekten zum Städtebau, an der Humboldt Universität kooperiert man im Bereich der Behindertenförderung. An der Uni Erlangen setzt man auf ein gemeinsames wirtschaftswissenschaftliches Master- und Promotionsprogramm samt Forschungszentrum mit drei irakischen Universitäten. Professor Sefik Alp Bahadir, der das Projekt koordiniert, sieht gar nicht so sehr die Universität von Erbil als eigentliche Zielscheibe. "Die kurdischen Gebiete brauchen uns eigentlich nicht. Die sind fast schon so gut wie südeuropäische Unis auf dem Balkan. Ganz anders und sehr desolat sieht es eben in Bagdad aus, wo wir mit der Uni von Bagdad und der Uni Mustansiriyya zusammenarbeiten."

Und nicht zuletzt hat sich am 10. August 2009 in Erbil ein Verein zur Errichtung einer deutschen Schule gegründet. Wenn alles klar geht, soll diese im Herbst 2010 ihre Arbeit aufnehmen. Generalkonsul Oliver Schnakenberg verspricht sich davon noch mehr gut ausgebildete Rückkehrer aus Deutschland, da Eltern nun wüssten, dass ihre Kinder die Beziehung zur deutschen Kultur aufrechterhalten können.

Walter Riccius erschließt derweil schon weitere Geschäftsfelder. "Wir würden gerne als nächsten Schritt in den Bereich Warenaustausch gehen und da die Leute weiterbilden. Eine andere Idee wären Kurse in Infrastrukturentwicklung, bei denen die Teilnehmer mit Lizenzen und Technologien aus Deutschland vertraut gemacht werden." Riccius hat keine Angst, dass ihm jemand anders diese Pläne noch streitig machen könnte. "Berufliche Bildung im Irak, das ist so ein großer Markt. Da ist wirklich Platz für jeden. Und außerdem bleibt uns Deutschen auch gar nichts übrig, als dort gut zusammenzuhalten."

Quelle: Artikel des Internportals wpi - Wirtschaftsplattform Irak www.wp-irak.de vom 31.08.2009, Autor: Simon Fuchs