Konsortialbildung: Gemeinsam besser aufgestellt – drei Beispiele

Die internationale Nachfrage nach Bildungsleistungen verändert sich. Ein Blick auf die Entwicklung der Ausschreibungen für internationale Bildungsprojekte zeigt, dass die Zahl kleiner, überschaubarer Vorhaben mit einigen wenigen, spezialisierten Maßnahmen abnimmt. Die globale Wirtschaft wie auch staatliche Stellen verlangen nach umfassenden Paketlösungen mit unterschiedlichsten, aufeinander abgestimmten Komponenten, die mit geringfügigen Anpassungen an verschiedenen Orten der Welt eingesetzt werden können. Nicht nur Nischenanbieter im Berufsbildungsexport sind gut beraten, sich mit Partnern zusammenzuschließen. Wie es funktionieren kann, zeigen drei Beispiele aus dem iMOVE-Netzwerk.

Beispiel 1: Rheinländer auf der gleichen Wellenlänge

Zwei weltweit tätige Bildungsunternehmen aus dem Kölner Raum kooperieren bereits bei mehreren Projekten in verschiedenen Ländern Asiens. Die TÜV Rheinland Akademie mit Sitz in Köln ist Expertin für Aus- und Weiterbildungslehrgänge, den Betrieb von Bildungseinrichtungen und die Zertifizierung von Personal. Lucas-Nülle aus dem benachbarten Kerpen ist spezialisiert auf die Herstellung technischer Lösungen für Trainingsmaßnahmen.

Eines der ersten gemeinsamen Projekte realisierten Lucas-Nülle und die TÜV Rheinland Akademie in der chinesischen Stadt Shanghai. Zusammen mit dem Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung (IFAM) bauten die beiden Bildungsunternehmen ein technisches Schulungszentrum für Elektromobilität auf. Das zweijährige Vorhaben wurde vom Bundesbildungsministerium gefördert und Mitte 2016 abgeschlossen.

Lucas-Nülle lieferte die technische Ausrüstung und der TÜV Rheinland die lokale Trainingsinfrastruktur. Gemeinsam entwickelten die Partner ein Ausbildungskonzept, das an die Normen und Vorschriften in China angepasst wurde, zugleich aber dem Wunsch der Chinesen nach der Orientierung an deutschen Standards entsprach. Die Schulungsunterlagen zur "Hardware" wurden vom IFAM, das das Projekt wissenschaftlich begleitete, ergänzt und auf Nachhaltigkeit geprüft. Lokale Trainer des TÜV Rheinland wurden als Multiplikatoren weiter qualifiziert. Rund 40 chinesische Lehrer und Ausbilder haben die notwendigen Kompetenzen erworben, um eigene Lerneinheiten aufzubauen und weitere Kolleginnen und Kollegen unterrichten zu können.

Carlo Humberg, zuständig für das internationale Business Development bei der TÜV Rheinland Akademie, sieht die Zusammenarbeit mit Lucas-Nülle als Ergebnis der sich verändernden Nachfrage: "Immer mehr internationale Kunden wollen nicht nur ein technisches Lernsystem oder eine Schulung. Die Anfragen und Ausschreibungen werden komplexer. Gewünscht sind ausdrücklich 'Lernlösungen', die Konzepte, Realisierungen und den laufenden Betrieb von Bildungsmaßnahmen umfassen. Und weil niemand in allen Disziplinen gleich stark ist, ist die Bildung von Geschäftspartnerschaften und Konsortien die logische Konsequenz. Wir arbeiten immer wieder in gemeinsamen Projekten mit Lucas-Nülle zusammen. Je nach Themenstellung des Projekts nehmen wir auch weitere Partner in unser Netzwerk auf."

Siegfried Schulz, Produktmanager Kraftfahrzeugtechnik bei Lucas-Nülle, hat das China-Projekt mitbetreut. Nach seiner Einschätzung war es nicht besonders schwer, den richtigen Partner zu finden: "Viele Unternehmen im Bildungssektor kennen die Wettbewerber im Markt und deren Angebotsportfolio sehr genau. Die TÜV Rheinland Akademie und wir wissen, was wir voneinander erwarten können und dürfen. Wir teilen langjährige internationale Erfahrungen im Bildungsexport. Lucas-Nülle hat Vertriebsteams in vielen Regionen und Händlernetzwerke vor Ort. Der TÜV Rheinland verfügt weltweit über ein dichtes Geflecht an Niederlassungen. Ganz unterschiedlich sind wir hingegen bei der Angebotspalette. Die Zusammenarbeit funktioniert auch deshalb gut, weil wir uns inhaltlich ergänzen statt uns in die Quere zu kommen."

Nach der Aufbauphase befindet sich das Schulungszentrum in China heute im regulären Betrieb durch den TÜV Rheinland, der die gemeinsam entwickelten Bildungsleistungen vor Ort erfolgreich vermarktet. Dabei kann er sich nicht nur auf die leistungsstarken Technologien von Lucas-Nülle verlassen, sondern auch auf deren Anpassung an die individuellen Kunden-, aber auch Partnerwünsche. Der Lehrmittelhersteller hat seine Trainingssysteme beispielsweise mit chinesischen Aufschriften ausgestattet. Die Tatsache, dass sowohl lokale Multiplikatoren als auch an die lokalen Erfordernisse angepasste Trainingssysteme zur Verfügung stehen, sorgt für einen größeren Lernerfolg. Das erleichtert den Trainern des TÜV ihre Arbeit, denn die Lehrgangsteilnehmerinnen und -teilnehmer können in ihrer Landessprache miteinander kommunizieren.

Laut Siegfried Schulz agieren die Rheinländer auf einer gemeinsamen Wellenlänge: "Dem Aufwand und den Kosten, die ein Bildungsexport mit sich bringt, trotzen wir mit geballter Kompetenz auf der Grundlage des deutschen dualen Ausbildungssystems, das unsere Kunden kennen und schätzen. Wir sparen Ressourcen, indem wir von den Erfahrungen und Kontakten des jeweils anderen profitieren. Vor allem können wir uns aufeinander verlassen und uns auf unsere jeweiligen Aufgaben konzentrieren. In einer schlechten Partnerschaft muss man sich ständig kontrollieren. Wir tauschen uns lieber laufend aus."

Beispiel 2: Am Anfang war die iMOVE-Projektwerkstatt

Im Herbst 2016 ergriffen die Kreishandwerkerschaft Steinfurt-Warendorf und VESBE e. V. die Initiative, um eine Partnerschaft einzugehen. Die beiden Bildungsanbieter hatten sich im November 2015 während einer iMOVE-Projektwerkstatt kennengelernt und standen seitdem im Austausch über internationale Aktivitäten.

Der konkrete Anlass für die Konsortialbildung kam mit der Veröffentlichung einer Ausschreibung des indischen Bildungsträgers IACM Smart Learn Ltd. in der iMOVE-Kooperationsbörse. Das Unternehmen mit Zentrale in Neu-Delhi qualifiziert in 27 der 29 indischen Bundesstaaten junge Menschen für den Arbeitsmarkt. Die Brüder Rajesh und Ravinder Goyal haben das Unternehmen 1997 gegründet und realisieren zahlreiche Aufträge des indischen Staates. Für die Entwicklung und Einführung eines "Center of Excellence" im Bereich Haustechnik suchte IACM einen deutschen Partner aus der Berufsbildung.

Karin Münstermann betreut als Leiterin Berufsbildung International das Projekt und die Zusammenarbeit mit VESBE seitens der Kreishandwerkerschaft. Sie berichtet: "Die Ausschreibung ist uns aufgefallen, weil die Aus- und Weiterbildung in vielen Gewerken des Handwerks unsere Stärke ist. Durch die direkte Bindung an unsere rund 2.500 Mitgliedsbetriebe sind wir permanent im direkten Austausch mit der Wirtschaft und bieten in unseren vier Bildungsstätten hochwertige, arbeitsmarktorientierte Bildungsleistungen an. Seit 2014 sind wir dabei, uns auch auf dem internationalen Markt zu etablieren, und setzen bereits erste Projekte in verschiedenen Ländern um. Indien als Zielmarkt ist uns jedoch noch unbekannt und daraus entstand die Idee der Kooperation mit dem Verein VESBE, der in Indien bereits Projekte realisiert. Durch die laufenden Vorhaben bestehen bereits Kontakte zu indischen Experten, was die direkte Kommunikation enorm erleichtert. Außerdem sind die kulturellen Besonderheiten des Landes bekannt, was potenzielle Barrieren in diesem Bereich von Beginn an mindert. In der Summe können wir einfach mehr Themen abdecken als jeder Partner individuell."

"Bei unserer Arbeit in Deutschland sind wir komplementär aufgestellt, aber wir teilen ein ähnliches Verständnis des internationalen Bildungsgeschäfts", sagt Julia Olesen, Abteilungsleiterin Internationale Projekte bei VESBE. "Für internationale Kunden ist der deutsche Bildungsmarkt oft schwer zu durchschauen. Sie schätzen es daher besonders, wenn sie viele verschiedene Dienstleistungen 'aus einer Hand' beziehen können. Als Konsortialpartner können wir umfassendere Bedarfe erfüllen."

Nach einem ersten Austausch über die Ausschreibung aus Indien war beiden Seiten klar, dass sie ein gemeinsames Angebot abgeben wollen, da sich ihre Stärken optimal ergänzen. Ende 2016 wurde das Angebot eingereicht und bereits im Januar 2017 besuchte eine indische Delegation Deutschland, um das Konsortium kennenzulernen und in erste Verhandlungen einzutreten. Weitere Gespräche mit den indischen Partnern über Details einer möglichen Vereinbarung werden folgen.

Julia Olesen betont die Professionalität und Flexibilität des Partners: "Das ist für uns das absolut Wichtigste und das haben wir bei der Kreishandwerkerschaft gefunden. Wenn wir uns zu neuen Vorhaben unterhalten, dann passen die Ideen und Ansätze einfach gut zusammen und am Ende steht ein besseres Konzept."

Karin Münstermann schätzt besonders das große Vertrauen und die Offenheit, von der die Partnerschaft seit dem ersten Treffen geprägt ist: "Die jahrelange Erfahrung von VESBE im internationalen Bildungssektor, vor allem in Indien, ist sehr beeindruckend, und die Transparenz der Aktivitäten, die uns gegenüber an den Tag gelegt wird, ist nicht selbstverständlich. Nicht nur auf fachlicher, sondern auch auf persönlicher Ebene harmonieren VESBE und die Kreishandwerkerschaft so gut miteinander, dass wir uns zukünftig auch weitere Kooperationen vorstellen können."

Beispiel 3: Kooperation mit internationalem Bildungspartner

Ebenfalls ein langfristiges Kooperationsmodell mit einem Bildungsanbieter verfolgt der E-Learning-Spezialist SGM Educational Solutions aus Berlin. Sein Partner stammt allerdings nicht aus Deutschland, sondern aus Südeuropa. Das Malta College of Arts, Science and Technology (MCAST) ist eine öffentliche Einrichtung der Inselrepublik im Mittelmeer und hat sich die berufliche Bildung ihrer mehr als 10.000 Studierenden auf die Fahnen geschrieben. Seit dem Jahr 2014 sind SGM und das MCAST partnerschaftlich verbunden.

SGM-Geschäftsführer Boris Groth kennt das College seit seiner früheren Tätigkeit als Geschäftsführer des Fraunhofer-IUK-Verbundes. Damals überarbeitete die Fraunhofer-Gesellschaft mit dem MCAST bereits bestehende Ingenieur-Kurse des Colleges. Danach entwickelte SGM für das MCAST eine interaktive Lernplattform und alle zugehörigen E-Learning-Kurse in 15 verschiedenen Fachbereichen. Dazu zählen neben den verschiedenen Ingenieurdisziplinen auch das Gesundheitswesen, Business und Management, Kunst und Design, umweltfreundliche Energien, Tourismus und Landwirtschaft. Das Cloud-basierte Lernsystem richtet sich in erster Linie an Berufstätige, die neben ihrer Karriere auch Weiterbildungsziele im Selbststudium verfolgen.

Im Laufe der Zusammenarbeit haben beide Bildungsanbieter festgestellt, dass sie gemeinsame Ziele haben und diese in der Zusammenarbeit auch erfolgreicher umsetzen können als allein. Groth, dessen Unternehmen kürzlich sowohl von FOCUS/Statista als auch von Deloitte zu einem der am schnellsten wachsenden (Technologie-)Unternehmen gekürt wurde, verspricht sich davon einen weiteren Wachstumsschub: "Als eines der europaweit größten Colleges verfügt das MCAST über eine umfassende Lerninfrastruktur und eine hohe internationale Reputation, die uns als internationaler Bildungsanbieter stärkt und zudem viele Türen öffnet. Wir sind mit unseren leistungsstarken E-Learning-Technologien Wegbereiter für das 'Klassenzimmer der Zukunft'. Im Bildungsbereich sehen wir uns durch die Partnerschaft zunehmend als 'Generalunternehmer' in der internationalen beruflichen Ausbildung für die Vermittlung von Netzwerk- und Umsetzungspartnern. MCAST komplettiert unser internationales Angebot und unseren umfassenden Trainer-Pool. Außerdem profitiert MCAST gerade im Ingenieurbereich von unserem 'Training made in Germany' und dem damit verbundenen Ruf der deutschen Berufsausbildung für die Wirtschaft. Das Know-how und die unterschiedlichen Geschäftsfelder von SGM und MCAST ergänzen sich aus meiner Sicht bestens. Und wir teilen eine unbeschreibliche Innovationsfreude."

Gemeinsam organisieren die beiden Bildungsanbieter inzwischen internationale Austauschprogramme. SGM hat bereits 40 MCAST-Studierende als Praktikanten in europäischen Unternehmen untergebracht, die eine Niederlassung in Deutschland haben. Außerdem bereitet SGM ein Blended-Learning-Programm für Studierende aus verschiedenen europäischen Ländern vor, die in Malta Kompetenzen erwerben können, welche auch auf dem deutschen Arbeitsmarkt nachgefragt werden.

Über die zukünftige Entwicklung der Bildungspartnerschaft sagt Vincent Maione, stellvertretender Direktor des MCAST: "Die berufliche Bildung muss auf allen Ebenen moderne Technologien mehr als bisher integrieren, um die Transformation des Klassenzimmers hin zu einem innovativen Lernraum und die Modernisierung der Lehrmethoden voranzutreiben. Außerdem sollte für Studierende das Angebot, im Rahmen ihrer Qualifizierung echte arbeitspraktische Erfahrungen zu machen, nicht nur eine Wahlmöglichkeit, sondern ein Pflichtbestandteil sein. Mit einem innovativen deutschen Unternehmen wie SGM können wir beide Ziele erreichen."

Fachartikel zur Konsortialbildung

Dieser Fachartikel ist dem aktuellen iMOVE-Exportmagazin xPORT (Ausgabe 1/2017) entnommen, das Ende April 2017 erschienen ist.

  • Autorin: Silvia Niediek

iMOVE-Exportmagazin xPORT

Titelbild, Text: xPORT Das iMOVE-Exportmagazin
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Quelle: iMOVE, Artikel aus xPORT - Das iMOVE-Exportmagazin, Ausgabe 1 / April 2017