Bildung in Afghanistan: Lehrer aus Leidenschaft

In Afghanistan fehlen gut ausgebildete Berufsschullehrer wie Haroon Halimi. Eine Bildungsreform verbessert nun die Chancen der hoch motivierten Jugend.

Im Labor für Elektrotechnik sprühen die Funken. Der Geruch von heißem Metall liegt in der Luft. Drei junge Männer in weißen Hemden versuchen sich am Löten von Stromkabeln. Ihnen gegenüber klappern ein paar Kommilitonen mit Schraubenziehern an einer Experimentierwand. Ein realitätsnaher Schaltkreis will neu justiert und verstanden werden.

Haroon Halimi überblickt die Handgriffe seiner jungen Schüler sehr genau. Er arbeitet als Lehrer für praktische und theoretische Elektrotechnik an der Technischen Schule Kabul, dem Kabul Mechanical Institute. Der 27-Jährige trägt an diesem Tag ein schwarzes Jackett, darunter ein Hemd. Sein dunkles Haar hat er mit Gel in Schwung gebracht. Der smarte Look unterstreicht die Professionalität, mit der Halimi seit rund zweieinhalb Jahren seinen Beruf an der Schule ausübt.

"Lehrer zu sein, bedeutet für mich die Freiheit, all mein Wissen an die Schüler weiterzugeben", sagt Halimi, der selbst einmal an dem Institut studiert hat. Einer seiner Lehrer damals war der eigene Vater, der seit 45 Jahren Dozent an der Technischen Schule ist.

Schon als Teenager durfte Halimi ihm über die Schulter schauen, wenn er bei Aufträgen in Kabuler Wohnhäusern Kabel verlegte. Dabei sei eine Faszination für Schaltungen und Stromkreise entstanden, die er heute an seine Schüler weitergibt. Die Fertigkeiten dafür erlernte er während einer zweijährigen Ausbildung an einer Trainingsakademie, die die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung fördert.

Ausbildung in der informellen Wirtschaft ist die Regel

Eine hochwertige Berufsbildung ist keine Selbstverständlichkeit in Afghanistan. Unzufriedenheit mit dem Lehrpersonal führt bei gut der Hälfte der Berufsschüler dazu, dass sie ihre Ausbildung vorzeitig abbrechen. Zudem können es sich viele Familien gar nicht erst leisten, ihre Söhne und Töchter auf eine Berufsschule zu schicken. Kinder müssen in Afghanistan oft schon im frühen Alter zum Familieneinkommen beitragen oder die eigenen Verwandten pflegen.

Obwohl in den vergangenen fünf Jahren in Afghanistan zahlreiche neue Berufsschulen entstanden sind, ist deren Reichweite bislang begrenzt. Im Vergleich zur traditionellen Lehrlingsausbildung in kleinen Familienbetrieben spielt die Ausbildung in der Berufsschule eine Nebenrolle.

Von den 1,4 Millionen afghanischen Jugendlichen, die nicht auf eine allgemeinbildende Schule gehen, sind gerade einmal fünf Prozent an einer Berufsschule eingeschrieben. Mehr als drei Viertel hingegen werden in der informellen Wirtschaft ausgebildet, typischerweise vom Vater.

Die Qualität der Lehre verbessern

Seit 2010 engagiert sich die GIZ im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung für den Aufbau eines flächendeckenden Berufsbildungssystems in Afghanistan. Dabei setzt sie bei den bestehenden Strukturen an: Die konventionelle Lehrlingsausbildung soll modernisiert, die Qualität der schulischen Berufsbildung verbessert werden.

Doch es geht um viel mehr als darum, die Karrierechancen junger Menschen zu steigern. In einem so zersplitterten Land wie Afghanistan "leistet berufliche Bildung einen Beitrag zur sozialen Integration", erklärt Gustav Reier von der GIZ. Dafür braucht es eine effektive Regierungsführung, welche die Bedeutung der beruflichen Bildung erkennt und auch danach handelt.

"Afghanistan hat eine sehr motivierte Jugend", so der Experte, "aber in den Berufsschulen des Landes treffen die jungen Leute oftmals auf kaum qualifizierte und wenig engagierte Berufsschullehrer und auf ein Schulmanagement, das seinen Aufgaben nicht nachkommt." Das will die GIZ ändern.

Zeitgemäße Lerninhalte, neue Materialien

Das deutsche Engagement für die afghanische Berufsbildung hat eine lange Tradition: Die Berufsschule wurde als erste technische Schule Afghanistans vor mehr als einem halben Jahrhundert mit deutscher Hilfe gegründet. Heute entwickeln die deutschen Experten gemeinsam mit afghanischen Berufsschullehrern zeitgemäße Lerninhalte und statten Berufsschulen mit neuen Lehr- und Lernmaterialien aus. Allein an dem Institut profitieren davon 1.300 Schüler – überwiegend Jungen, aber auch 70 Mädchen.

Vor allem für den praktischen Unterricht werden moderne Maschinen und Apparaturen benötigt. Die jungen Techniker sollen schon in der Schule möglichst viel vom Berufsalltag erfahren.

Um auch Jugendlichen aus ärmeren Familien den Schulbesuch zu ermöglichen, werden Teilzeitmodelle eingeführt. So bleibt neben dem Unterricht noch genug Zeit für eine herkömmliche Lehre oder einen Aushilfsjob.

Lehrernachwuchs auch für die ländlichen Regionen

Haroon Halimi kennt die Herausforderungen in seinem Land nur zur gut. "Als Kind habe ich mich immer gefragt, warum wir nachts zu Hause keinen Strom haben", erinnert er sich. Während des afghanischen Bürgerkriegs lebten er und seine Familie acht Jahre als Flüchtlinge im benachbarten Pakistan. Strom war ein Luxusgut. Umso wichtiger sei es, dass heute gute Lehrkräfte in Afghanistan eine neue Generation von fähigen Elektrotechnikern ausbildeten. "Afghanistan braucht Elektroingenieure, die sich für eine bessere Stromversorgung einsetzen."

Als Absolvent des ersten Jahrgangs der Trainingsakademie für technische Lehrer in Kabul hat Halimi nicht nur an Wissen in seinem Fach hinzugewonnen. Neben dem technischen Training standen auch Fächer wie Didaktik und Pädagogik sowie Unterricht in Psychologie auf dem Programm. "Ich kann nun in den Gesichtern meiner Schüler lesen und besser auf ihre individuellen Bedürfnisse eingehen", sagt Halimi. Ein freundschaftliches Klassenklima sei ihm besonders wichtig.

Die gemeinsam mit dem afghanischen Vizeministerium für berufliche Bildung aufgebaute Akademie liegt am Fuße des Chehel-Sotun-Hügels im Süden von Kabul. Von hier aus kann man einen Teil der smogverhangenen Stadt überblicken. Das moderne Backsteinensemble der Akademie beherbergt neben Klassenzimmern und Werkstätten auch ein Studentenwohnheim, in dem Schüler vom Land untergebracht sind.

Energie und Motivation

Einer von ihnen ist der 20-jährige Majnoon Safi. Safi stammt aus Kapisa, einer kleinen Provinz 80 Kilometer nordöstlich von Kabul. Auf dem Etagenbett, das sich Safi mit einem Klassenkameraden teilt, sind Schulbücher ausgebreitet, daneben liegen eine zusammengefaltete Gebetsmatte und ein Tauchsieder zum Teekochen.

Der junge Mann strahlt Energie und Motivation aus. Er will nach der Ausbildung in Kabul als Lehrer in seiner Heimatprovinz arbeiten. "Die Dozenten an der Trainingsakademie haben genau die Qualitäten, die ich bei den Lehrern zu Hause vermisst habe", sagt Safi und erklärt, was für ihn einen guten Lehrer ausmacht. "Er sollte genauso wie ein Schüler nie aufhören zu lernen. Außerdem sollte er nicht vorschnell Urteile über seine Schüler fällen", sagt Safi.

Majnoon Safi aus der Provinz Kapisa fühlt sich wohl im Wohnheim und schwärmt von seinen Lehrern. Die seien selbst neugierig geblieben und gäben allen Schülern die Chance, sich zu beweisen.

Schulleiterin Dena Azizi sorgt dafür, dass viele Lehrlinge aus den Provinzen kommen. Nur ein Fünftel der Schüler stammt aus Kabul. Lehrer Halimi legt Wert auf ein gutes Lernklima. Das schafft er dank seiner Kenntnisse in Pädagogik und Didaktik.

Wie er kommen die meisten hier vom Land. "Nur zwanzig Prozent unserer Schüler stammen aus Kabul, der Rest verteilt sich auf die übrigen 33 Provinzen", sagt Dena Azizi, die Schulleiterin der Trainingsakademie. Mit der gezielten Anwerbung von Jugendlichen aus den Provinzen will sie dem Lehrermangel in den ländlichen Regionen entgegenwirken. Bereits 800 Absolventen haben die Ausbildung seit Gründung der Schule im Jahr 2011 erfolgreich abgeschlossen.

Das eigene Talent nutzen, um andere zu fördern

Neben der Elektrotechnik hat die Akademie Praxisräume für technische Fächer wie Holzverarbeitung, Sanitär-, Metall- und Kraftfahrzeug-Technik. Gemeinsam mit ihrer Schwesterschule, der Trainingsakademie in Mazar-e Sharif, werden im Lehrertraining derzeit rund 600 angehende Berufsschullehrer ausgebildet. Sie sollen als Multiplikatoren eine zeitgemäße, hochwertige Berufsbildung auch in ländlichen Regionen vorantreiben.

Für Haroon Halimi von der Technischen Schule Kabul hat sich die Ausbildung zum Berufsschullehrer auf jeden Fall gelohnt: Bei einem Test von 100 afghanischen Elektrotechniklehrern schaffte er es unter die besten zehn. Sein eigenes Talent will er einsetzen, um andere Jugendliche zu fördern: "Nach zwei Jahren Berufserfahrung kann ich das Potenzial meiner Schüler gut einschätzen."


Quelle: akzente - Das Magazin der GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit), akzente.giz.de, Ausgabe 1/17