Bildung als deutscher Exportschlager

Die duale Ausbildung ist im Ausland der Renner. Doch hierzulande absolvieren viele Schulabgänger lieber ein Studium als eine Berufsausbildung. Lesen Sie einen Artikel in "Die Welt" zum Thema.

  • von Marie-Thérèse Nercessian

Die TÜV-Rheinland-Akademie betreibt im chinesischen Shanghai ein technisches Schulungszentrum für Elektromobilität. In Afrika bildet die Bundesregierung 5.000 Handwerker und Techniker aus. Und die südamerikanischen Länder Kolumbien und Paraguay entwickeln und implementieren mit Hilfe des Bundesinstituts für Berufsbildung gar ihre eigenen Modelle der dualen Ausbildung.

Der Export beruflicher Aus- und Weiterbildung ist ein stabiles und zukunftssicheres Geschäftsmodell der deutschen Bildungswirtschaft. Das ist auch politisch so gewollt: Deutschland soll fit werden für die globale Wissensgesellschaft. Zu den Zielen der Bundesregierung gehört daher der internationale Ausbau von Berufsbildung und Qualifizierung. So will das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ab Mitte des Jahres fünf Millionen Euro jährlich in die internationale Berufsbildungskooperation mit Industrie- und Schwellenländern durch öffentlich-private Partnerschaften investieren.

"Berufliche Aus- und Weiterbildung aus Deutschland trifft weltweit auf eine steigende Nachfrage", sagt Silvia Niediek, Sprecherin der Initiative iMOVE im Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB). Deren Ziel ist die Internationalisierung deutscher Aus- und Weiterbildung. Hierfür werden deutsche Bildungsanbieter mit einem umfangreichen Serviceangebot bei der Erschließung internationaler Märkte gefördert und unterstützt.

Offensichtlich erfolgreich. In dem von iMOVE ermittelten aktuellen Trendbarometer 2016 schätzt die deutsche Bildungsexportbranche ihre Chancen auf den ausländischen Märkten optimistisch ein: Von rund 20.000 deutschen Anbietern beruflicher Aus- und Weiterbildung haben demnach rund 2.500 ihre Leistungen auch auf internationale Märkte ausgedehnt. Die asiatischen Bildungsmärkte, allen voran China und Indien, sind von besonderer Bedeutung. 54 Prozent der Befragten gaben an, dort bereits aktiv zu sein, jeder zweite sieht in den nächsten Jahren Wachstumsmöglichkeiten in dieser Region. "Die wichtigsten Märkte sind Indien, China, Mexiko und mehrere Länder der ASEAN- und der MENA-Region", sagt Niediek. Aber auch in bislang weniger entwickelten Volkswirtschaften, etwa aus Afrika oder Südamerika, wachse das Interesse, sich bei der Weiterentwicklung der eigenen Berufsbildungssysteme am deutschen Modell zu orientieren. "Vor allem Schwellenländer mit einer schnell und stark wachsenden Bevölkerung suchen bei deutschen Bildungsanbietern Unterstützung, um ihrer jungen Generation eine aussichtsreiche Zukunftsperspektive zu bieten, aber auch, um ihren wachsenden Fachkräftebedarf mit gut qualifizierten jungen Menschen zu decken und so ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit zu steigern."

Zu den deutschen Stärken gehören vor allem die wirtschaftsnahen Bildungsbereiche. Die Angebote reichen von handwerklichen, kaufmännischen, technischen und medizinischen Qualifizierungsangeboten über die berufsbezogene Fortbildung im Managementbereich bis zu E-Learning-Software. Am meisten nachgefragt werden dem Trendbarometer zufolge Qualifizierungen in technischen Berufen und im Managementbereich, aber auch zunehmend Bildungsmaßnahmen für medizinische und soziale Berufe. Von 66 Prozent der Befragten wird zudem die Ausbildung von Lehrpersonal als wichtigstes Leistungsangebot gesehen.

Die Zukunft sieht glänzend aus: Mehr als zwei Drittel der deutschen Bildungsanbieter erwarten der Trendanalyse zufolge, dass ihr Auslandsgeschäft weiter wächst. Damit sieht die Branche ihre Exportperspektiven so optimistisch wie kaum eine andere. Dabei kann sie sich vor allem den guten internationalen Ruf des dualen Berufsbildungssystems zu Nutze machen. Die Duale Ausbildung ist das Zugpferd des Bildungsexports. BIBB-Analysen zufolge ist sie für viele internationale Partner zum Inbegriff der deutschen Qualität im Bereich Berufliche Bildung geworden. Duale Ausbildung stehe für "Qualität, Zuverlässigkeit, Innovation" und habe wegen des integrierten Praxisbezuges einen hervorragenden Ruf. 83 Prozent der Kunden im Ausland kennen dem BIBB zufolge das duale Prinzip. Duale Produkte werden im Ausland bei 46 Prozent der Bildungsanbieter explizit nachgefragt. Und 37 Prozent der Unternehmen vertreiben bereits ein duales Bildungsprodukt.

Hierzulande allerdings haben es Unternehmen, die ausbilden wollen, zunehmend schwer. "Für viele Mittelständler hat sich die Suche nach Auszubildenden dramatisch verschärft, weshalb viele Betriebe ihre Leistungen in diesem Bereich zurückfahren mussten", sagt Judith Röder, Geschäftsführerin des Mittelstandsverbundes – ZGV. "Gerade in den ländlichen Regionen, in denen der Mittelstand vorwiegend ansässig ist, sinken die Zahlen der Schulabgänger." Gleichzeitig sorge der Trend zur Akademisierung dafür, dass immer weniger eine Berufsausbildung anstrebten. "Dem akademischen Abschluss werden oft höhere Karrierechancen nachgesagt, obwohl das in der Realität oft anders aussieht", sagt Röder.

"Wer eine berufliche Ausbildung abgeschlossen hat, dem eröffnen sich heute die gleichen Chancen wie einem Akademiker", sagt auch Mario Ohoven, Präsident des Bundesverbands mittelständischer Wirtschaft (BVMW). Auch bei den Verdienstmöglichkeiten gebe es kaum noch Unterschiede zwischen Master und Meister. "Laut DIW werden mittlerweile kaufmännische Berufe im Schnitt sogar besser bezahlt als studierte Geisteswissenschaftler", so Ohoven. "Nahezu jeder dritte Betrieb kann freie Ausbildungsplätze aber nicht besetzen. Vor allem die vielen mittelständisch geprägten Handwerksbetriebe suchten händeringend Nachwuchs.

Patentrezepte für ein Umdenken bei den Schulabgängern gibt es nicht. "Der Mittelstand kann und sollte im Wettbewerb um Auszubildende und gute Fachkräfte als attraktiver Arbeitgeber mit schlanken Hierarchien und der Aussicht auf einen schnellen Aufstieg punkten", sagt Ohoven. Röder sieht die Schulen in der Pflicht: "Hilfreich könnten Kooperationen der Schulen mit mittelständischen Unternehmen sein, um die Vielfalt der Berufe aufzuzeigen und das Image der Ausbildung zu verbessern. Auch die Berufsorientierung sollte im schulischen Rahmen mit regional ansässigen Unternehmen kooperieren."

DIE WELT

Der Artikel ist in DIE WELT in der Ausgabe vom 23.05.2017 erschienen.


Quelle: Die Welt, welt.de, 23.05.2017