Internationaler Ideenaustausch - Der Horizont weitet sich

Deutsche Konzerne exportieren ihr Modell der dualen Berufsausbildung erfolgreich in die Vereinigten Staaten von Amerika (USA) und nach Asien. Passende Bildungsträger als Partner zu finden, ist dabei nicht immer leicht.

Prinz Andrew aus dem britischen Königshaus, ferner der amerikanische Arbeits-, der chinesische Bildungs-, der polnische Wirtschaftsminister sowie eine Prinzessin aus Thailand - sie alle waren bereits in Wolfsburg.

Sie besuchten das Volkswagenwerk - nicht wegen der Autos und nicht wegen der neuesten Software zur Steuerung von Abgaswerten. Sondern weil sie sich von der dualen Berufsausbildung inspirieren lassen wollten, die Volkswagen in Wolfsburg und an 72 anderen Standorten in Deutschland und der Welt praktiziert.

"Wirtschaftsexperten rund um den Globus erkennen zunehmend: Gute Industriearbeit für handwerkliche Produkte bekommt man nur, wenn man auch in die Ausbildung von Facharbeitern investiert", sagt Ralph Linde, Leiter der Volkswagen Group Academy, unter deren Dach die Ausbildungseinheiten des Konzerns gebündelt sind.

Tatsächlich ist die duale Berufsbildung aus Deutschland zum globalen Exportschlager geworden. "Der Trend, der vor einigen Jahren begann, setzt sich mit einer enormen Dynamik fort", berichtet Steffen Bayer, Leiter des Referats Berufsbildungsexport beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) in Berlin, "vor allem in den Wachstumsmärkten Asiens, Lateinamerikas sowie in Süd- und Südosteuropa."

Und ganz klar auch in den USA. Dort herrscht seit Jahren Fachkräftemangel. Präsident Barack Obama pries das deutsche Ausbildungsmodell, den Wechsel zwischen Schulbank und Werkbank, bereits mehrmals als Vorbild. Etwa 130 Firmen, vor allem im Südosten und Mittleren Westen bilden mittlerweile nach dem dualen Modell aus.

Darunter sind große Unternehmen wie Volkswagen, Siemens, die Rolls-Royce-Tochter MTU und der Kettensägen-Hersteller Stihl. Auch kleinere und mittelständische Unternehmen schließen sich zunehmend in Clustern zusammen.

Gerade hat der Bundesstaat Georgia mit der Auslandshandelskammer (AHK) in Atlanta eine offizielle Vereinbarung über eine duale Ausbildungsinitiative nach deutschem Curriculum unterzeichnet - die erste ihrer Art in den USA. Neben deutschen sind auch amerikanische und asiatische Firmen an Bord. 20 Highschool-Schüler werden im Herbst mit der Ausbildung beginnen.

Fachkräftemangel ist der wichtigste Antrieb für derartige Initiativen. In den USA und in vielen anderen Ländern ist die Berufsbildung stark akademisiert; eine Kooperation zwischen Colleges und Unternehmen ist unüblich. Deshalb seien "die Arbeitskräfte oft an den Erfordernissen und Bedürfnissen der realen Arbeitswelt und des Marktes vorbeiqualifiziert", erläutert Stefanie Jehlitschka, stellvertretende Geschäftsführerin der AHK in Atlanta.

In den USA gibt es keine Berufsschulen im deutschen Sinne. Unternehmen, die ihre amerikanischen Mitarbeiter dual ausbilden wollen, kooperieren deshalb mit technischen Colleges. So wie Volkswagen in Chattanooga. Der Autobauer bildet in seinem Werk im US-Bundesstaat Tennessee seit 2012 Mechatroniker und Kraftfahrzeug-Mechatroniker aus - dreijährige Programme mit Abschlusszertifikat vom DIHK, so wie in Deutschland. In Chattanooga klappe die Kooperation mit dem lokalen College gut, sagt Linde. An anderen Standorten ist es bisweilen komplizierter, Bildungsträger als Partner zu finden, deren Curricula den Erfordernissen des Konzerns genügen.

In China bedurfte es zunächst einer Übereinkunft mit den dortigen Behörden; nun bildet Volkswagen im Reich der Mitte selbst Berufsschullehrer aus - in erster Linie für den eigenen Bedarf. Weitere Hemmschwellen für deutsche Unternehmen sind Kosten, Dauer und Tiefe der Ausbildung. So ist es in den USA unüblich, dass Firmen die Kosten für die Ausbildung ihrer Mitarbeiter tragen. Hier zahlt der Azubi selbst. "Die Position eines amerikanischen Unternehmens lautet: Wer hier arbeiten will, hat selbst dafür zu sorgen, dass er gut qualifiziert ist", sagt Jehlitschka.

Die Dauer einer deutschen Berufsausbildung - normalerweise drei Jahre - ist eine Pille, die für viele Amerikaner schwer zu schlucken ist. Der Arbeitsmarkt in den USA ist mobil und flexibel; eine gewerbliche Ausbildung dauert hier meist nur wenige Wochen oder Monate. Außerdem wechseln Amerikaner schneller und häufiger den Job. Da lohnt es sich für ein Unternehmen meist nicht, etwa 54.000 Euro - das kostet die Ausbildung eines Azubis in Deutschland - zu investieren.

Diesen Rat hat sich auch Frank Rogall zu Herzen genommen. Der Projektverantwortliche für Internationale Berufsausbildung beim Motorenhersteller MTU in Friedrichshafen half 2012 dabei, ein duales Ausbildungsprogramm in der Niederlassung in Aiken, South Carolina, einzuführen. "Wir wollten die Amerikaner nicht gleich mit einem dreijährigen Programm überfallen", sagt er. Deshalb startete MTU in den USA zunächst mit einer zweijährigen Ausbildung zur "Fachkraft für Metalltechnik". Wer danach noch Ehrgeiz und Geduld hat, kann sich zum Industriemechaniker weiterbilden.

Allerdings hat die duale Berufsbildung mit einem Imageproblem zu kämpfen - in den USA und in vielen anderen Ländern. Denn: "Eine Ausbildung zum Facharbeiter gilt häufig als eine Wahl zweiter Klasse - für die, die es nicht auf die Uni geschafft haben", sagt DIHK-Repräsentant Bayer.

Verbreitet sei zudem die Vorstellung, dass ein Job im Betrieb mit "Öl unter den Fingernägeln verbunden ist". Vor allem in den USA, wo Fertigung nur noch zwölf Prozent des Bruttoinlandprodukts ausmacht, gelten handwerkliche Berufe deshalb als wenig erstrebenswert.

Durch Auslandsmodule soll die Fachkräfte-Ausbildung grundsätzlich attraktiver werden

Das hat auch Linus Kesenheimer erfahren. Der 21-Jährige absolvierte bei MTU in Friedrichshafen eine dreijährige Ausbildung zum Industriemechaniker; jetzt studiert er Maschinenbau.

2014, im dritten Lehrjahr, war er vier Wochen lang in den USA, schlüpfte mit drei anderen deutschen Azubis in die Rolle von Lehrern, die ihren amerikanischen Kollegen Teile der deutschen Ausbildung nahebringen sollten. "Wir haben in Gesprächen immer wieder gemerkt: In Amerika ist es nicht so angesehen, wenn man einen technischen Beruf erlernt statt aufs College zu gehen", sagt er. "Das hat mich schon ziemlich überrascht."

Das Leben in einem fremden Land, das Arbeiten in einer fremdem Sprache, die Annäherung an fremde Berufswelten, deren Regeln und Gepflogenheiten: All das habe seine Zeit bei MTU in den USA zu einer "total interessanten Erfahrung" gemacht, sagt Kesenheimer. Er habe "mehr gelernt als ich normalerweise gelernt hätte", da er anderen den Stoff habe beibringen müssen. Die deutschen und amerikanischen Azubis drehten sogar einen Videofilm über ihre Zusammenarbeit, der beim "Wettbewerb Fremdsprachen" in Deutschland den ersten Preis gewann.

Das Projekt sei zwar zunächst eine einmalige Sache gewesen, sagt Frank Rogall. "Aber wir arbeiten daran, ein solches Programm dauerhaft zu implementieren. Dann würden deutsche Azubis jedes Jahr für vier bis sechs Wochen in die USA gehen, und die Amerikaner kämen nach Deutschland." Schon heute bietet MTU seinen Azubis in Deutschland über das Erasmus-Programm vierwöchige Praktika innerhalb der Europäischen Union an. In diesem Rahmen können technische Azubis für eine Weile in einem Partner-Werk in England arbeiten.

Der Wolfsburger Autobauer Volkswagen bildet seine Azubis derzeit zwar ausschließlich an ihren Heimatstandorten aus; Auslandsmodule sind nicht üblich. Allerdings bietet der Konzern guten Absolventen unmittelbar nach ihrem Abschluss an, ein Jahr lang in einem Volkswagen-Werk im Ausland zu arbeiten - sei es in Südafrika, China, Argentinien oder in den USA. "Wanderjahre" heißt das Programm, das "junge Mitarbeiter global in Bewegung setzt und Horizonte aufreißt", sagt Akademiechef Linde.

Die Internationalisierung der dualen Berufsausbildung und die Mobilität der Azubis seien wichtige Bausteine für die Zukunft einer modernen Fachkräftequalifizierung, betont Steffen Bayer. Schließlich sei die klassische duale Berufsbildung, die Ausbildung zum Facharbeiter, auch in Deutschland unter Druck geraten, mit einem Trend zur Akademisierung und einem Mangel an Nachwuchs. "Unternehmen müssen attraktive Perspektiven für die berufliche Bildung anbieten, um mehr junge Menschen zu gewinnen." Der Einsatz von Auszubildenden im Ausland sei dabei ein besonders wirksames Instrument.

Große Unternehmen können das leichter stemmen. "Bei kleinen und mittelständischen Firmen helfen wir als Auslandshandelskammern mit praktischen Schritten", sagt Jehlischka. Mit Informationskampagnen in den Highschools, bei Verhandlungen mit lokalen Colleges oder mit der Pflege von Netzwerken. "All diese Initiativen tragen dazu bei, dass die Idee der dualen Ausbildung in die Welt getragen wird", sagt Bayer. Und auch dazu, dass der bunte Besucherstrom im Volkswagenwerk in Wolfsburg in absehbarer Zeit wohl nicht abreißen wird.


Quelle: süddeutsche Zeitung, sueddeutsche.de, 08.06.2016