Bolivien: Community Radios werden professioneller

In Bolivien gibt es eine große Vielfalt an indigenen Lokalradios - ihre Mitarbeiter bringen sich das Handwerk meist selbst bei. Mithilfe des Projekts "Pro Periodismo", das unter anderem Weiterbildungen beinhaltet, ist ihre Berichterstattung jetzt professioneller.

Konzentriert liest Max Cachaca von einem kleinen, weißen Zettel die Nachrichten ab und spricht sie in ein Mikrofon. Er redet auf Aymara, eine der indigenen Sprachen der Andenregion. Cachacas Co-Moderatorin ist eine ältere Frau mit zwei langen Zöpfen, einem runden Hut und unzähligen Unterröcken. "Cholitas" werden die Frauen in den traditionellen Trachten Boliviens genannt. Um sie herum sitzen Frauen und Männer zwischen 20 und 50 Jahren, die ihnen aufmerksam zuhören.

Gleich werden sie Cachaca und seiner Co-Moderatorin Feedback geben. Denn diese Übung ist Teil eines Radio-Workshops, für den alle von weit her in die bolivianische Stadt Cochabamba angereist sind, ins Centro de Producción Radiofónica (CEPRA), dem Dachverband für über 100 indigene Lokalradios, Partnerorganisation von Deutsche Welle (DW) Akademie und der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ).

Als die Bolivianer 2009 für eine neue plurinationale Verfassung stimmten, wurde auch das Recht auf Presse- und Meinungsfreiheit darin aufgenommen. Von einer objektiven und ausgewogenen Berichterstattung ist das lateinamerikanische Land allerdings noch weit entfernt:

Die bolivianischen Medien werden überwiegend von politischen, staatlichen und privaten Interessen geleitet. Anstatt kritisch und unabhängig zu informieren, sind Journalisten oft selbst Teil des verbalen Schlagabtausches zwischen den parteipolitischen Positionen.

 

Fürsprecher für lokale Gemeinden

 

Auf der anderen Seite zeichnet sich die bolivianische Medienlandschaft durch eine vielfältige Presselandschaft aus. Eine besondere Rolle spielen dabei alternative Medien wie indigene Lokalradios, die Programme auf Quechua, Aymara oder Guaraní anbieten.

Die Lokalradios senden nicht nur Musik oder Servicethemen, sondern vertreten auch die Interessen und Belange der lokalen Bevölkerungsgruppen. Allerdings werden die ländlichen Rundfunkstationen oft nur mit rudimentärer technischer Ausstattung und von kleinen Teams oder gar Einzelpersonen betrieben - nach dem Prinzip "learning by doing".

Viele der Radiomacher üben noch einen anderen Beruf aus, etwa als Landwirte oder Lehrer. Ausgebildete Journalisten sind sie nicht. Das spiegelt sich häufig auch in der Qualität der produzierten Radiobeiträge wider.

"Oft wird zu einem Thema nur die lokale Autorität befragt, und dann eins zu eins wiedergegeben, ohne dass die Aussage kritisch hinterfragt und in einen Kontext eingeordnet wird", sagt Elena Ern, Ländermanagerin für Bolivien bei der DW Akademie. Ein Grund dafür sei die tief sitzende Ehrfurcht vor Autoritäten. "Für viele Radiomacher bedeutet es deshalb eine immense Hemmschwelle, einen politischen Amtsträger bei einem Interview zu unterbrechen und kritisch nachzufragen", so Elena Ern.

 

Auf Augenhöhe unterrichten

 

Hier setzt das Weiterbildungsangebot an, bei dem CEPRA von GIZ und DW Akademie im Rahmen des Projektes "Pro Periodismo" mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unterstützt wird.

Etwa 100 lokale Radiomacher aus ganz Bolivien nahmen an dem fast zweijährigen Programm teil. Kernpunkt waren praxisorientierte Workshops und Praktika, in denen die Teilnehmer die Grundlagen des Radiomachens noch einmal neu erlernen konnten. Was ist Vox Populi? Warum setze ich es ein? Wie funktioniert eine Recherche? Was sind offene und geschlossene Fragen in einem Interview? Lehreinheiten auf Augenhöhe, das bedeutet: partizipativ, spielerisch und auf die Teilnehmer konzentriert. Für viele ein sehr ungewohntes Lehrprinzip, da in Bolivien fast ausschließlich frontal unterrichtet wird.

Vieles drehte sich auch um das Selbstverständnis des Journalisten und dessen Bedeutung in der Gesellschaft. Um das Ganze realitätsnah zu vermitteln, wurden die Trainings an aktuelle, soziale Themen gekoppelt. Experten aus Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und sozialen Initiativen gaben Inputs zu Themen wie "Gewalt gegen Frauen" und "Migration". "

Das Arbeiten mit diesen Themen erforderte besondere Sensibilität seitens der Trainer, denn viele Teilnehmer sind selbst betroffen", berichtet DW Akademie-Trainerin Camilla Hildebrandt. "Es ist eine besondere Herausforderung, Radiomacher anzuleiten, objektiv und ausgewogen zu berichten, wenn das Thema für sie hoch emotionalisiert ist."

Auch Max Cachaca ist Arbeitsmigrant. Der 46-Jährige wuchs in dem Bergbaustädtchen Chacarilla auf, welches auf einem Andenbergkamm 200 Kilometer südlich von La Paz liegt. Später zog er mit seinen Eltern nach El Alto, damals noch ein armer Vorort von La Paz, heute die zweitgrößte Stadt Boliviens. Wie seine Eltern hat er in den Minen von Chacarilla gearbeitet, dann kam er über eine Bekannte zum Radio und berichtet heute auf Aymara aus El Alto und La Paz.

"Ich bin Autodidakt", sagt Cachaca, "ich konnte es mir nicht leisten, eine Universität zu besuchen. Am Anfang war ich schüchtern, und habe mich nicht getraut, Radio zu machen." Bei den Lokalradio-Workshops lernte Cachaca beispielsweise, Programme richtig vorzubereiten, ein Skript zu schreiben, oder mehrere Quellen zu nutzen.

 

Berichte über lokale Belange

 

Die erste Phase des Projekts, die Weiterbildung für lokale Radiomacher, ist abgeschlossen. In Zukunft will sich CEPRA weiter als Kompetenzzentrum für lokale Radios etablieren und mit Unterstützung von DW Akademie und GIZ eine duale Ausbildung für lokale Radiomacher anbieten. Dazu werden zunächst auch die Mitarbeiter von CEPRA selbst als Trainer in der praktischen Lehrmethode ausgebildet. Geplant ist auch eine staatliche Zertifizierung der Ausbildung. Damit hätten Radiomacher wie Cachaca auch ohne einen Universitätsbesuch einen Abschluss.

Aus Mangel an beruflichen Perspektiven und negativer Auswirkungen des Klimawandels auf die Ernte ziehen immer mehr Bolivianer in die Städte. Laut der Internationale Organisation für Migration (IOM) sind 60 bis 70 Prozent der Bewohner der vier größten bolivianischen Städte zugewanderte Landbewohner.

Da er selbst ein Zugezogener ist, kann Cachaca durch seine Radioberichte ein realistisches Bild von dem Leben der Migranten in der Stadt vermitteln. Er kann potenziellen Migranten Tipps geben, ihnen aber auch die erhöhten Erwartungen auf ein besseres Leben in den Städten nehmen. "Die Leute glauben mir. Sie halten mich nicht für jemanden, der politische Interessen vertritt. Und das ist mir wichtig", so Cachaca.

Die Community Radios haben eine demokratische Funktion, die den Machern oft gar nicht bewusst ist. "In Bolivien konzentrieren sich die Nachrichten vornehmlich auf die großen Städte, vor allem auf den Regierungssitz La Paz", so Ländermanagerin Elena Ern.

Durch vermehrt partizipative Programme, wie Call-In-Sendungen oder Talkrunden, können lokale Radiomacher zu einem ausgewogeneren, landesweiten Dialog bei sozialen Schlüsselthemen beitragen. "Bei den Workshops habe ich zum Beispiel gelernt, nicht immer nur Interviews mit Regierungsbeamten zu machen, sondern auch die Bevölkerung zu Wort kommen zu lassen", so Cachaca.


Quelle: Deutsche Welle (DW) Akademie, dw,com, Pfad: Medienentwicklung > Lateinamerika, 14.09.2015