Viel Verbindendes: Bayern und Tschechien wollen Zusammenarbeit stärken

Die bayerisch-tschechischen Wirtschaftsbeziehungen haben sich seit dem Beitritt Tschechiens in die Europäische Union (EU) 2004 deutlich positiv entwickelt. Kooperationspotenzial gibt es unter anderem bei der praxisorientierten Ausbildung von Fachkräften. Ein Nachteil für eine verstärkte Zusammenarbeit im Bildungssektor ist allerdings, dass die Ausbildungssysteme beider Länder nicht kompatibel sind. So gibt es in Tschechien nach wie vor keine duale Ausbildung.

Künftig wollen beide Seiten die Beziehungen vertiefen und bislang Versäumtes nachholen, beispielsweise beim Ausbau der grenzübergreifenden Verkehrsinfrastruktur. In der Region rund um die Industriestadt Plzeň, in diesem Jahr Kulturhauptstadt Europas, konzentrieren sich viele Aktivitäten der Unternehmen.

Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Tschechien und Bayern sind stark ausgeprägt. Das östliche Nachbarland ist für das Bundesland in Mittel- und Osteuropa der wichtigste Handelspartner. Im letzten Jahr stand mit einem bilateralen Außenhandelsumsatz von über 16 Milliarden Euro ein neuer Rekordwert zu Buche.

"Mehr als 3.000 bayerische Unternehmen pflegen Geschäftsbeziehungen nach Tschechien, rund 1.000 Firmen unterhalten eine lokale Niederlassung, Vertretung oder Produktionsstätte", berichtet Hannes Lachmann, Leiter der Repräsentanz des Freistaates Bayern in Prag.

Die Repräsentanz, die im Dezember 2014 von Ministerpräsident Horst Seehofer im Beisein des tschechischen Ministerpräsidenten Bohuslav Sobotka eröffnet wurde, soll dazu beitragen, die Beziehungen zwischen Bayern und Tschechien in den Bereichen Politik, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft zu intensivieren. "Die Repräsentanz soll als 'Schaufenster Bayerns' sowie als Anlaufstelle für bayerische und tschechische Bürger dienen", betont Lachmann.

 

Enge wirtschaftliche Verflechtung

 

Derzeit bereite die bayerische Landesregierung ein Gutachten zu den Entwicklungsperspektiven der grenzübergreifenden Region vor, so Lachmann.

Die Regierungsbezirke Oberfranken, Oberpfalz und Niederbayern kooperieren eng mit den benachbarten tschechischen Regionen. Mit entsprechend engen Wirtschafts- und Handelsbeziehungen: "Tschechien ist für Bayern nach den USA und China der drittgrößte Importeur und der siebtwichtigste Handelspartner weltweit. Bayern wiederum ist für Tschechien als Handelspartner das wichtigste Bundesland sowie hinsichtlich der Einfuhren der drittwichtigste Handelspartner weltweit – nach Deutschland und der Slowakei", erläutert Lachmann.

Nach Angaben der Bundesbank hatten bayerische Unternehmen bis Ende 2013 rund 3,9 Milliarden Euro in Tschechien investiert. Aber auch tschechische Unternehmen sind in dem Bundesland aktiv. Ende 2013 lagen die Investitionen bei 46 Millionen Euro. Škoda Transportation aus Plzeň etwa unterhält eine Tochtergesellschaft mit Sitz in München. Weitere tschechische Unternehmen mit Niederlassung in Bayern sind Mero Germany AG, eine Tochter der Mero ČR, a.s., oder die Moravia Europe GmbH.

 

Unterstützung durch Regionalbüro

 

Die Unternehmen in der Grenzregion profitieren von der Unterstützung des Regionalbüros Plzeň, das die Industrie- und Handelskammer (IHK) Regensburg gemeinsam mit der Deutsch-Tschechischen Industrie- und Handelskammer (DTIHK) betreibt. Nach Angaben des Regionalbüros unterhalten allein in der Oberpfalz sowie im Landkreis Kelheim rund 800 Unternehmen regelmäßige Geschäftsbeziehungen mit tschechischen Partnern – Tendenz steigend.

Die Region Oberpfalz – Plzeň ist der wirtschaftlich stärkste Wirtschaftsraum zwischen Deutschland und Tschechien – mit einer Wirtschaftsleistung größer als die Sloweniens oder Luxemburgs. Die ähnlichen Strukturen der Industriebranchen, vor allem in den Bereichen Automobil, Metall, Kunststoff, Elektrotechnik oder Nahrungsmittel, haben in den letzten Jahren für enorme Synergieeffekte auf beiden Seiten der Grenze gesorgt.

Die grenzübergreifende Zusammenarbeit bei der Innovations- und Technologieförderung ist ein wichtiges Thema. Die IHK Regensburg hat mit der Westböhmischen Universität in Plzeň eine Kooperationsvereinbarung abgeschlossen, um als Kontaktplattform zwischen den Firmen auf beiden Seiten der Grenze sowie den Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen und Fakultäten zu fungieren. Die Regierung in Prag strebt künftig eine höhere Wertschöpfung sowie den verstärkten Einsatz von Hochtechnologien in der Industrie an.

"Als Nachbarländer mit ähnlicher Industriestruktur und stark vernetztem Warenaustausch können Tschechien und Deutschland etwa beim Thema 'Industrie 4.0' bestens kooperieren", so Karla Stánková, Leiterin des Regionalbüros Plzeň.

Großes Kooperationspotenzial gebe es auch bei der praxisorientierten Ausbildung von Fachkräften. Allerdings: "Ein Nachteil für eine verstärkte Zusammenarbeit im Bildungssektor ist, dass unsere Ausbildungssysteme nicht kompatibel sind. So gibt es in Tschechien nach wie vor keine duale Ausbildung", bemerkt Stánková.

 

Ausbildung und Forschung

 

Aus diesem Grund nehmen die Unternehmen in der Region das Thema Ausbildung selbst in die Hand. Beispiel Gerresheimer: Der Produzent für Kunststoffsysteme und Primärverpackungen für die Pharmaindustrie fertigt am Standort Horšovský Týn, rund 50 Kilometer südwestlich von Plzeň. Die bisher getätigten Investitionen am Standort seit der Übernahme im Jahr 2007 liegen im zweistelligen Millionenbereich. 670 Mitarbeiter fertigen hier Inhalatoren, Insulin-Pens, Bauteile für Dialysemaschinen oder sterile Wundklebesets.

Das Thema Fachkräfte spielt für das Unternehmen eine wichtige Rolle. "Nach einer anfänglichen 'Durststrecke' starteten wir im Herbst 2012 gemeinsam mit unserer Partnerschule, der SOU Domažlice, eine Ausbildung zum 'Industriemechaniker Kunststoff' nach dualem Ausbildungssystem mit der ersten Klasse.

Mit dieser Klasse haben aktuell elf junge Menschen die Abschlussprüfung absolviert. Fünf der Absolventen verbleiben in unserem Unternehmen, sechs haben sich entschieden, die weiterführende Schule zu absolvieren, um das Abitur zu erreichen", so Helmut Schweiger, Senior Plant Director Horšovský Týn Medical Systems Management.

Seit 2012 habe man jährlich neue Auszubildende hinzugewonnen. Aktuell befindet sich eine Klasse von zehn Schülern im zweiten Ausbildungsjahr, eine mit zwölf Schülern im dritten Ausbildungsjahr. "Erfreulich ist, dass im Herbst eine weitere Klasse mit elf jungen Menschen an den Start geht. Sie sehen, die Vision eines dualen Ausbildungssystems, ähnlich dem deutschen System, ist bei Gerresheimer Horšovský Týn Wirklichkeit geworden", schwärmt Schweiger.

Angesprochen auf die Standortvorteile der Region Plzeň für das Unternehmen, verweist er auf die lange Tradition in der Kunststoffverarbeitung. Und: "Weiterhin wichtig sind die günstige Verkehrsanbindung an die regionalen Ballungszentren mit ihren Hochschulen sowie die Grenznähe. So liegt der Standort nur 100 Kilometer vom deutschen Werk in Pfreimd sowie vom Technischen Competence Center und Werkzeugbau in Wackersdorf entfernt", betont Schweiger.

Die Grenznähe spielt auch für Grammer am Standort Tachov westlich von Plzeň eine wichtige Rolle. Das Unternehmen produziert mit rund 450 Mitarbeitern Fahrersitze für Lastkraftwagen, Passagiersitze für Bahnen, Komponenten für Offroad-Sitze sowie Kopfstützensysteme für Personenkraftwagen. "Die Vorteile des Standorts bestehen in der Kundennähe, der guten Infrastruktur, insbesondere mit der direkten Anbindung an die Autobahn A6, sowie in der guten Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden", erläutert Ralf Hoppe, Bereichsleiter Communications bei der Grammer AG. Und selbstverständlich spielt auch die Grenznähe eine wichtige Rolle.

Durch die unmittelbare Nähe zu Bayern seien in der Region nicht nur große, sondern auch viele kleine und mittelständische Firmen aus dem Bundesland vertreten. "Viele Mitarbeiter aus der Region Plzeň haben bereits Berufserfahrungen in Bayern gesammelt, die sie dann bei ihrem weiteren beruflichen Werdegang in Tschechien nutzen können", ergänzt Hoppe.

 

Ingenieure gefragt

 

Auch das Entwicklungszentrum der ZF Friedrichshafen AG in Plzeň profitiert von der Grenznähe. "Wir arbeiten in zahlreichen Projekten unter anderem mit den ZF-Standorten Schweinfurt, Passau und Auerbach zusammen", erläutert Mathias Eickhoff, Geschäftsführer bei ZF Engineering Plzeň.

Im Juni wurde nach gut einjähriger Bauzeit das erweiterte Forschungs- und Entwicklungszentrum in Plzeň eröffnet. In den Ausbau wurden vier Millionen Euro investiert. An dem Standort sind rund 250 Mitarbeiter mit verschiedenen Entwicklungsdienstleistungen beschäftigt.

"Zu den Haupt-Kompetenzfeldern gehören die Softwareentwicklung sowie die Entwicklung und Qualifikation von Mechatronik-Komponenten. Die Konstrukteure mechanischer Aggregate unterstützen die Ingenieure mit Berechnungen und 3-D-Modellierungen. Darüber hinaus ist das Kompetenzfeld 'Rapid Prototyping' in Plzeň etabliert", so Eickhoff.

Insgesamt ist ZF in Tschechien an acht Standorten vertreten und beschäftigt landesweit rund 3.200 Mitarbeiter. Plzeň habe sich in den vergangenen Jahren zu einem interessanten und vielfältigen Wirtschaftsstandort entwickelt. "Zahlreiche Unternehmen bieten gerade Ingenieuren spannende Aufgaben, sodass der Wettbewerb um hoch qualifizierte Fachkräfte spürbar ist", bemerkt Eickhoff.

Daher habe man die Recruiting-Aktivitäten verstärkt, um die benötigten Fachkräfte zu gewinnen. "Besonders Studenten der Fachrichtungen Elektrotechnik und Informatik sowie Software- und Hardware-Entwickler sind gefragt, aber auch Absolventen des Maschinenbaus für Konstruktions- und Berechnungsaufgaben", so Eickhoff. Bei der Rekrutierung profitiere man von den Absolventen der Westböhmischen Universität Plzeň.

 

Weitere Weichen stellen

 

Raum für Verbesserungen in der künftigen Zusammenarbeit zwischen Bayern und Tschechien gibt es beim Thema Verkehrsinfrastruktur. Ende Mai veranstalteten die DTIHK und die Repräsentanz des Freistaates Bayern das 2. Deutsch-Tschechische Verkehrsforum in Prag.

Die zentrale Botschaft: Für einen weiterhin regen Warenaustausch müssen die Verkehrswege durchlässiger werden. Vor allem eine schnelle Bahnverbindung zwischen München beziehungsweise Nürnberg und Prag steht für beide Seiten an oberster Stelle. Derzeit dauert die Zugfahrt von der bayerischen in die tschechische Hauptstadt gut sechs Stunden, obwohl die beiden Metropolen per Luftlinie nur rund 300 Kilometer voneinander entfernt sind. Ziel ist es, die Fahrzeit künftig auf 4,5 Stunden zu verkürzen. Für dieses Projekt wurden von bayerischer Seite zusätzliche Mittel bereitgestellt, um die Vorplanungen in Auftrag geben zu können.

Bereits im Frühjahr hatten sich der tschechische Verkehrsminister Dan Ťok und Bayerns Innen- und Verkehrsminister Joachim Herrmann darauf verständigt, "mit einer bayerisch-böhmischen Bahninfrastruktur-Offensive" die nötigen Weichen zu stellen. Man müsse beim Ausbau der Bahninfrastruktur künftig schneller vorankommen. Seit dem Fall des "Eisernen Vorhangs" vor einem Vierteljahrhundert konnten bisher nur kleine Maßnahmen realisiert werden, erklärte Herrmann. Höchste Eisenbahn also für konkrete Pläne, die den Ausbau der Verbindungen zwischen Bayern und Tschechien voranbringen.


Quelle: Wirtschaftsportal OWC-Verlag für Außenwirtschaft GmbH, 09.09.2015