Anwerbung und Bindung von qualifiziertem Personal in China

Lesen Sie ein Interview mit Guido Molsner, Mitglied des Vorstands der Deutsch-Chinesischen Wirtschaftsvereinigung e. V. Das Interview zur Anwerbung und Bindung von qualifiziertem Personal in China lesen Sie im ITB infoservice, Schwerpunktausgabe "Innovation in China".

ITB: Als Mitglied des Vorstands der Deutsch-Chinesischen-Wirtschaftsvereinigung e. V. sowie durch Ihre persönlichen Erfahrungen aus Ihrer Tätigkeit für Siemens in Peking haben Sie einen sehr guten Einblick in das Thema Personalgewinnung und -bindung in der Volksrepublik (VR) China erhalten. Welchen Stellenwert nimmt diese Thematik für ausländische Unternehmen in der VR China aus Ihrer Sicht ein?

Guido Molsner: Wenn wir heute über das Thema Anwerbung und Bindung von Personal reden, dann muss man feststellen, dass dies nicht nur eine Herausforderung in China, sondern in einer ganzen Reihe von sogenannten Schwellenländern ist.

Es tritt insbesondere dadurch in unser Blickfeld, und wir beobachten es intensiver als an anderen Stellen, weil in den letzten 15 Jahren sehr viele europäische und vor allem deutsche Unternehmen Standorte in China eröffnet haben.

Völlig unabhängig davon, ob der Standort sich nun als reiner Servicestützpunkt, als Assembly- oder Fertigungsstützpunkt oder wirklich als Niederlassung mit allen Funktionen vom Vertrieb bis zum Service darstellt, in jedem Fall ist immer die Rekrutierung von chinesischem Personal notwendig.

Umso bedeutender, wenn nicht sogar kritischer wird die Personalauswahl dadurch, dass in der Vergangenheit viele Firmen zum ersten Mal einen Standort in China eröffneten und der Erfolg eines solchen ersten Set-Up, natürlich unweigerlich auch mit der Qualifikation des Personals verbunden ist.

In diesem Zusammenhang kann man ganz pauschal feststellen, dass viele Unternehmen hier sehr viel Lehrgeld gezahlt haben und dass die Situation sich unverändert herausfordernd darstellt. Es bedarf weiterhin ein besonderes Augenmerk, sich diesem Thema anzunehmen und zu stellen.

ITB: Wie erfolgt die Rekrutierung von Fach- und Führungskräften durch ausländische Unternehmen in der VR China?

Guido Molsner: Die Rekrutierung von Ingenieuren muss man sich etwas anders vorstellen, als wir das in der westlichen Welt kennen. So kann ich mich persönlich gut an einen Termin mit einem kleinen, deutschen Mittelständler erinnern, der auf einer Recruiting-Messe in Suzhou, circa 1,5 Stunden von Shanghai entfernt, Elektroingenieure mit Englischkenntnissen gesucht hat.

Im Rahmen dieser Messe waren ungefähr 50 einzelne Stände aufgebaut, jeder 1,5 x 2 Meter groß. Über dem Stand war beschrieben, welche Qualifikationen und welches Personal man suche. Hinter dem Stand waren immer zwei Mitarbeiter der jeweiligen Unternehmen, die die Bewerbungsgespräche geführt haben, Tisch an Tisch, so dass jeder alles vom Nachbarn mitbekommen konnte.

Natürlich gab es auf dieser Veranstaltung auch viele gleichartige Stellengesuche, so dass es nicht nur eine extreme Transparenz für die Bewerber gab, sondern eben auch einen Wettbewerb zwischen den Anbietern um die einzelnen Talente.

Ich erinnere mich, dass fast alle Bewerber in den ersten zwei Sätzen berichteten, dass sie englische Sprachkenntnisse besitzen, aber nach der dritten Frage konnte man feststellen, dass sie gar nicht mitbekommen und verstanden hatten, was gefragt wurde. Auch praktische Kenntnisse einfachster, elektrotechnischer Anwendungen waren vielfach nicht vorhanden.

Der Tag verlief ergebnislos für den Mittelständler. Es gab nicht einen qualifizierten Kandidaten, obwohl hunderte, wenn nicht sogar tausende Menschen durch diese Halle strömten.

Prinzipiell kann man aber feststellen, dass sich das Thema der Englischkenntnisse in den letzten Jahren deutlich verbessert hat und voraussichtlich in den kommenden Jahren ein immer kleiner werdendes Problem wird. Die Fokussierung auf technische Fähigkeiten oder technische Vorbildung bleibt aber nach wie vor eine extrem hohe Herausforderung.

Besonders in den Ballungsräumen internationaler und deutscher Ansiedlungen wie in den Städten Suzhou und Tianjin ist es extrem schwierig, entsprechendes Personal zu rekrutieren.

ITB: Welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht die Standortwahl bezüglich der Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal?

Guido Molsner: Aus meiner persönlichen Erfahrung würde ich heutzutage jedem deutschen Mittelständler schon bei der Standortauswahl in China raten, sich das Umfeld und die möglichen Ressourcen am Arbeitsmarkt für seine Belange intensiv anzuschauen und zu prüfen. Man sollte an dieser Stelle auch nicht vergessen, dass chinesische Mitarbeiter zwar leicht versetzbar, jedoch nicht mobil im Sinne dieses Begriffes sind.

Alleine aus der rechtlichen Situation der Hukou-Gesetze ist es für viele Arbeitskräfte oft unmöglich, in eine andere Stadt zu ziehen, da sie dort ihre Kinder nicht in die Schule schicken können. Dies führt dazu, dass Sie zwar den Mitarbeiter versetzen können, er aber seine Familie nicht mitnimmt. Die daraus entstehenden Spannungen und Probleme sind ein Grund für zusätzliche Fluktuationen.

ITB: Was sind aus Ihrer Erfahrung besondere Herausforderungen bei der Besetzung von Stellen für hochqualifizierte Mitarbeiter, insbesondere im Fall von Studienabgängern?

Guido Molsner: Grundsätzlich lässt sich zunächst feststellen, dass es in keinem anderen Land der Welt so viele Studienabgänger gibt wie in China. Doch sind diese Studienabgänger in ihren Ausbildungsschwerpunkten lange nicht so fokussiert wie Studienabgänger in Europa oder Amerika.

In vielen Sekretariaten europäischer Firmen können Sie beobachten, dass die jungen Menschen, die dort arbeiten, oftmals einen Masterabschluss haben. Sie beginnen dann ihren ersten Arbeitsplatz als Assistenz der Geschäftsleitung mit einem Masterstudienabschluss, um einmal praktische Erfahrungen in der Leitungsebene für zwei bis vier Jahre zu sammeln.

Danach wechseln sie in der Regel in eine andere Funktion innerhalb des Unternehmens oder sie verlassen das Unternehmen wieder. Oft gibt es auch eine hohe Affinität zum Vorgesetzten. Wenn dieser seine Funktion wechselt, dann folgen die Nachwuchsführungskräfte ihm häufig.

ITB: Für viele ausländische Unternehmen spielt neben der Identifikation und der Anwerbung von Fach- und Führungskräften auch die langfristige Bindung ihrer Wissensträger an das Unternehmen eine Rolle. Wie schätzen Sie dieses Thema ein?

Guido Molsner: Eine Loyalität zum Arbeitgeber, wie wir es in der westlichen Welt kennen, gibt es insbesondere in China nicht. Wenn es überhaupt eine Loyalität gibt, dann ist es die Chef-Loyalität, wie zuvor bereits beschrieben. Dies bedeutet, dass es einen extremen Aufwand erfordert, Mitarbeiter zu halten und zu binden.

Über emotionale Ansprache wie "Wir sind ein tolles Unternehmen", "Wir werden zusammen Erfolg haben", wird man keinen allzu großen Einfluss auf die Fluktuation der Mannschaft haben.

Große international agierende Unternehmen haben mit ihrem Namen und ihrer Marke an dieser Stelle sicherlich einen Vorteil, aber eine Vielzahl von mittelständischen, sehr erfolgreichen international agierenden Unternehmern fällt der Transport solcher Werte in die breite, junge Bevölkerungsschicht in China sehr schwer. Das beginnt beim Namen und hört bei der Größe des Unternehmens auf.

Nach dem Studium wechseln in der Regel junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter innerhalb von drei Jahren ihren ersten Arbeitgeber. Das hat mit der fehlenden Loyalität gegenüber dem Unternehmen zu tun, aber auch ganz stark damit, dass sie sehr ehrgeizig sind und eine entsprechende persönliche Entwicklung auf der Karriereleiter anstreben. Für sie bedeutet Aufstieg an dieser Stelle in allererster Linie einen Firmenwechsel.

Angefeuert wird dieses System natürlich auch mit dem Kampf um Talente. So ist es extrem oft der Fall, dass eben der Wechsel zu einem neuen Arbeitgeber mit einer Weiterentwicklung in der persönlichen Position verbunden ist. Damit einhergehend natürlich auch ein deutlicher Einkommenszuwachs. Auch hier sind die mittelständischen Strukturen wieder im Nachteil, da sie in ihren Firmen mit flacher Hierarchie wenige Möglichkeiten eines Aufstieges anbieten können.

Die dann entstehenden Fluktuationen haben noch einen weiteren großen Nachteil. Völlig unabhängig von der Diskussion des Know-how-Schutzes oder des Kopierens von Know-how muss man einfach feststellen, dass man bei Fluktuationsraten, die sich im Bereich von acht bis zehn Prozent befinden, es extrem schwer hat, Entwicklungs- oder Vertriebsabteilungen aufzubauen.

ITB: Welche weiteren Empfehlungen möchten Sie deutschen und internationalen Unternehmen in Hinblick auf die langfristige Bindung qualifizierter Mitarbeiter geben?

Guide Molsner: Die Bindung von qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an das eigene Unternehmen sollte sehr früh beginnen. Es gibt heute viele Unternehmen, die schon einige Jahre in China sind und die über Kontakte zu den Universitäten früh mit Studenten zusammen arbeiten.

Diese frühe Bindung kann man auch vertraglich dahingehend gestalten, dass man die jungen Menschen in einer Zusatzausbildung sofort nach dem Abschluss an den Universitäten ins eigene Unternehmen einbindet und dort schon ein entsprechendes Einkommen in dieser Zeit bezahlt. Die so an die Unternehmen gebundenen jungen Menschen können vertraglich verpflichtet werden, mehrere Jahre in dem Unternehmen zu verbleiben.

Nach Abschluss der erweiterten Ausbildung ist im Gegenzug ein Ausscheiden nur gegen eine entsprechende Rückzahlung der Ausbildungskosten geregelt. Dies ist kein hundertprozentiger Schutz, führt aber dazu, dass die jungen Menschen sich sehr früh mit dem Unternehmen identifizieren, weil sie eine zusätzliche Ausbildung erhalten und über die vertraglichen Bedingungen zunächst einmal an das Unternehmen gebunden sind.

Das Thema Kranken- und Altersvorsorge ist ebenfalls ein wichtiger Punkt. Im Wettbewerb um die Talente reagieren chinesische Unternehmen an dieser Stelle nicht nur zurückhaltend, sondern geben auch sehr bescheidene Aussagen oder Zusagen. Mit entsprechenden Paketen zur persönlichen Alters- und Gesundheitsvorsorge gibt es eine weitere Möglichkeit für das Halten von qualifizierten Nachwuchskräften.

Aus meiner persönlichen Erfahrung würde ich an dieser Stelle auch noch den Tipp geben wollen, eine möglichst hohe Transparenz der persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen.

Die chinesischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter führen eine sehr intensive Kommunikation mit Freunden und Familie über ihr persönliches Weiterkommen. Je transparenter dies für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist, desto ehrlicher wird mit dem Unternehmen darüber gesprochen. Sie beugen somit Überraschungen vor.

Es ist nichts Außergewöhnliches, wenn Ihnen ein Mitarbeiter am Montagmorgen erzählt, dass er sich dazu entschlossen hat, die Firma zu verlassen. Dieser Prozess ist in dem Moment, wo er Ihnen mitgeteilt wird, schon so weit fortgeschritten, dass er am nächsten Morgen vielleicht schon bei seinem neuen Arbeitgeber beginnt. Durch die Transparenz in seinen persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten werden diese Ad-hoc-Entscheidungen zumindest reduziert.

Zusammenfassend kann man sagen, dass das Thema der Rekrutierung und des Haltens von qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern heute in China die gleiche Herausforderung darstellt wie vor zehn oder fünfzehn Jahren.

Das Thema ist auch für die Zukunft nicht einfach zu lösen. Jedes Unternehmen muss hier individuelle Wege suchen und finden. Einige Möglichkeiten habe ich aufgezeigt, mit dem frühen Binden von jungen Menschen sowie zusätzlichen, sozialen Anreizen. Die Überraschungen der plötzlichen Kündigungen wird das aber leider nicht auf ein europäisches Maß reduzieren.

Die Aktualität der Thematik wird auch aus einer Befragung der German Chamber of Commerce aus dem Jahre 2014 ersichtlich.

 

Die Fragen an Guido Molsner stellte Dominik Ruttke.

Innovation in China

Die 10. Schwerpunktausgabe - Innovation in China des ITB infoservice steht auf der Internetseite von Kooperation-international.de zum kostenlosen Herunterladen zur Verfügung und kann per E-Mail als Druckversion bestellt werden.

Quelle: ITB infoservice 08/15, Interview in der 10. Schwerpunktausgabe - Innovation in China, Seite 36 bis 38