Slowakei: Fachkräftemangel im Automobilsektor

Die Slowakei steht vor einem wirtschaftlichen Quantensprung. Mit Jaguar Land Rover hat ein vierter Autokonzern eine Milliardeninvestition in dem Land angekündigt. In der Region Nitra entstehen mindestens 4.000 Arbeitsplätze. Allerdings dürfte sich der Fachkräftemangel im Automobilsektor verschärfen.

Mit der Milliardeninvestition könnte die Kraftfahrzeug (Kfz)-Produktion ab 2018 auf über 1,3 Millionen Einheiten steigen. Das Bruttoinlandsprodukt soll durch die neue Fabrik um über einen Prozentpunkt extra zulegen.

Die Slowakei ist schon heute pro Kopf gerechnet das Land mit der größten Personenkraftwagen (Pkw)-Produktion weltweit. Im letzten Jahr liefen dort je 1.000 Einwohner 183 Fahrzeuge vom Band. Doch der Vorsprung könnte noch weiter wachsen. Denn Mitte August 2015 hat der indisch-britische Autokonzern Jaguar Land Rover angekündigt, im westslowakischen Nitra eine Produktionsstätte zu errichten. Ein entsprechender Vorvertrag (Letter of Intent) wurde nach Unternehmensangaben bereits mit der Regierung unterzeichnet.

Die Eckdaten des Investitionsvorhabens sind beeindruckend. Über 1 Milliarde Euro kostet allein die Fabrik, in der rund 4.000 Menschen Arbeit finden sollen. Den geplanten Jahresausstoß gibt Jaguar Land Rover mit bis zu 300.000 Fahrzeugen an, der ab 2018 erreicht werden könnte. Damit rückt das Tatra- und Donauland endgültig in die Reihe der großen Automobilnationen vor.

Schon jetzt laufen jedes Jahr rund 1 Million Pkw von den Bändern der drei bestehenden Autowerke in Bratislava (Volkswagen), Trnava (PSA) und Zilina (Kia). Mit einer Fahrzeugproduktion von künftig 1,3 Millionen Einheiten pro Jahr würde die Slowakei sogar das fast doppelt so große Nachbarland Tschechien hinter sich lassen. In Mittelosteuropa hätte nur noch Russland eine größere Fahrzeugindustrie.

Beim Rennen um das neue Werk setzte sich die Slowakei gegen harte Konkurrenz in aller Welt durch. Nach Angaben von Jaguar Land Rover wurden auch Standorte in den USA und in Mexiko für die Fabrik geprüft. In Europa schließlich war zuletzt noch Krakau in Polen der ärgste Mitbewerber. Experten gehen davon aus, dass die staatlichen Investitionsanreize und die Zugehörigkeit der Slowakei zum Euroraum schließlich den Ausschlag für Nitra gegeben haben.

Jaguar Land Rover selbst nennt in einer Pressemitteilung die "etablierte Premium-Automobilindustrie" als einen wichtigen Punkt für die Standortentscheidung. Der Konzern will in der Slowakei vor allem Leichtbaufahrzeuge aus Aluminiumkarosserien produzieren. Gerade im Segment der gehobenen Preisklasse hat das Land eine gute Position, denn bei Volkswagen (VW) in Bratislava werden bereits die großen Geländelimousinen VW Touareg und Audi Q7 sowie Karosserien für den Porsche Cayenne gefertigt. In diese Kategorie passen auch die Geländewagen von Land Rover.

Wie viel öffentliche Förderung Jaguar für sein Werk in der Slowakei erhält, wurde noch nicht publiziert. Laut Schätzung der Wirtschaftszeitschrift Trend könnte der zur indischen Tata Group gehörende Konzern direkte Zuschüsse oder einen Steuernachlass in Höhe von maximal 130 Millionen Euro bekommen. Allerdings muss die Kommission der Europäischen Union (EU) solche Subventionen vorab genehmigen.

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Auch die Verfügbarkeit von Fachkräften könnte eine Rolle für die Investitionsentscheidung gespielt haben. Die offizielle Arbeitslosenquote im Bezirk (kraj) Nitra lag Ende Juli bei 10,3 Prozent (slowakischer Durchschnitt: 11,5 Prozent). Über 36.000 Menschen waren im Bezirk auf Jobsuche. Im Nachbarbezirk Banska Bystrica liegt die Quote sogar bei 15,9 Prozent.

Trotz der großen Zahl von Erwerbslosen warnt der slowakische Automobilverband ZAP SR schon lange vor einem drohenden Fachkräftemangel.

Ein vierter Fahrzeugkonzern im Land könnte die Situation verschärfen und die Lohnspirale in Gang setzen. Bis zum PSA-Werk (Peugeot-Citroën) in Trnava sind es von Nitra weniger als 50 km, bis zur VW-Fabrik in Bratislava knapp über 100 km.

Der Verband hofft daher, dass die Regierung nun Bedingungen schafft, um die Mobilität der Arbeitskräfte in der Slowakei zu erhöhen. Im Osten und Süden des Landes ist in manchen Kreisen wie Rimavska Sobota oder Kezmarok jeder vierte Erwerbsfähige ohne Arbeit.

 

Zentrum für duale Ausbildung qualifiziert Fachkräfte

 

Volkswagen Slovakia befürchtet durch die Ansiedlung von Jaguar keine Engpässe bei der eigenen Ausstattung mit Personal, teilte Sprecher Vladimir Machalik auf Nachfrage von Germany Trade & Invest mit. "Auf den Fachkräftemangel in der Slowakei haben wir bereits 2013 reagiert und ein Zentrum für duale Ausbildung gegründet".

Dort qualifiziert das Unternehmen Mechatroniker, Elektroniker für Automatisierungstechnik und Industriemechaniker. "Außerdem kooperieren wir eng mit den Technischen Universitäten in der Slowakei", ergänzt Machalik.

In Bratislava hat Volkswagen einen Lehrstuhl Automobilproduktion an der Slowakischen Technischen Universität errichtet. Seit 2015 ist zudem die duale Ausbildung nach deutschem und österreichischem Vorbild in der slowakischen Gesetzgebung verankert.

Doch auch wenn das Fachkräfteproblem beherrschbar scheint, so bleibt die wachsende Abhängigkeit der slowakischen Volkswirtschaft von der Automobilindustrie. Schon jetzt entfällt über ein Viertel der Ausfuhren auf Produkte des Fahrzeugbaus. Die Branche trägt mit rund 12 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei - deutlich mehr als im Nachbarland Tschechien (7 Prozent, Quelle: Agentur CTK).

Mit 80.000 Beschäftigten sind die Kfz-Hersteller und ihre Zulieferer ein wichtiger Arbeitgeber. Sinken die Autokäufe in den wichtigen Absatzländern, so ist die slowakische Industrie überdurchschnittlich betroffen.

Dennoch bleibt die Ansiedlung von Jaguar Land Rover für die Slowakei ein Prestigeerfolg. Die kleine Republik zwischen Donau und Tatra hat bewiesen, dass sie in der Automobilindustrie zu den attraktivsten Standorten in Europa zählt.

Volkswagen hatte die Vorteile des Landes schon 1991 entdeckt und sich dort angesiedelt. Zu den Pluspunkten zählt Sprecher Machalik die zentrale Lage zu den Märkten, die langjährige Maschinenbautradition und die qualifizierten Arbeitskräfte. Außerdem habe die Einführung des Euro 2009 für höhere Planungssicherheit gesorgt.


Quelle: Germany Trade & Invest GTAI, 26.08.2015