Berufsbildung in Portugal mit dualem Angebot

Portugal modernisiert sein Ausbildungssystem und stemmt zugleich die Aufgabe, das niedrige Qualifikationsniveau vieler Erwachsener zu steigern.

Die hohe Jugendarbeitslosigkeit und Schulabbrecherquote gehen zurück, immer mehr Schüler besuchen berufsausbildende Sekundarschulen oder Ausbildungszentren. Doch um als Volkswirtschaft produktiver und wissensintensiver zu werden, muss die Fachausbildung effizienter und arbeitsmarktkompatibler werden. Erfahrungstransfer aus Deutschland ist willkommen.

Portugals Wirtschaft wächst 2015 das zweite Jahr in Folge und gewinnt dabei mit einer erwarteten Zunahme um real 1,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr an Fahrt. Positiv reagierte der Arbeitsmarkt auf die Erholungsprozesse. Die sozial bedeutsamsten Statistikkennziffern - Arbeitslosigkeits- und Jugendarbeitslosigkeitsrate - gingen laut Eurostat von ihren jeweiligen Höchstständen 2013 zurück auf durchschnittlich 14,1 Prozent und 34,8 Prozent im Jahr 2014. Immer noch waren damit 131.400 Jugendliche zwischen 15 und 24 Jahren ohne Arbeit.

Das belastet nicht nur große Teile einer Generation, sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit und die gesellschaftliche Entwicklung des Landes. Im Zusammenhang damit steht die Quote der frühzeitigen Schulabgänger, also der 18- bis 24jährigen, die höchstens einen Abschluss im Sekundarbereich I besitzen und sich aktuell nicht weiter bilden. Sie hat sich infolge beträchtlicher Anstrengungen der Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik zwar gegenüber 2006 mehr als halbiert auf 17,4 Prozent. Doch war sie damit 2014 immer noch die vierthöchste in der Europäischen Union (EU), wo der Durchschnitt insgesamt bei 11,1 Prozent lag. Als Kernziel für 2020 strebt Portugal 10 Prozent an.

Auch mit Anleihen bei Deutschlands Erfolgssystem Dualer Ausbildung ist seit 2008 das berufliche Ausbildungsangebot gestärkt und erweitert worden. Seit August 2009 gilt eine erweiterte Schulpflicht bis 18 Jahre oder Abschluss des 12. Schuljahres.

Eine grundlegende, dreijährige Lehrausbildung (cursos de aprendizagem) enthält inzwischen nach dualem Prinzip 40 Prozent Praxisanteil in Zusammenarbeit mit Unternehmen. Wie die berufsbildenden Sekundarschulen endet diese Lehrausbildung neben dem Berufstitel zugleich mit dem portugiesischen Abitur, so dass der Weg zu einem Fachhochschulstudium offen bleibt.

Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Auf dem portugiesischen Festland hat der Anteil junger Schüler, die in unterschiedlicher Form auf berufsbildendem Schulweg sind laut der Angaben der Generaldirektion für Bildungs- und Wissenschaftsstatistik von 28,4 Prozent im Schuljahr 2000/01 in jedem Jahr zugenommen auf 44,5 Prozent für das zuletzt verfügbare Jahr 12/13. Evaluierungen zufolge spielt die Stärkung der Berufsausbildung eine Schlüsselrolle bei der Verbesserung der Schülerqualifikation und der sinkenden Neigung, die Schule abzubrechen.

 

Berufsausbildung für Jung und Alt

 

Doch geht es in Portugal nicht allein um die Aufgabe, die junge Generation für die Berufswelt zu rüsten. Hinzu kommt die Herausforderung, den - historisch bedingten - großen Anteil gering gebildeter Erwachsener nachzuschulen und im Fall der Arbeitslosen, in den Arbeitsprozess wieder einzugliedern.

In Portugal hatten 2014 noch 56,3 Prozent der Menschen zwischen 15 und 64 Jahren keinen oder allenfalls einen Abschluss, der der früher obligatorischen Schulpflicht von neun Jahren entsprach. Das war der höchste Anteil in einem EU-Land und lag um das Doppelte über dem Durchschnitt.

Das niedrige Ausbildungsniveau eines großen Teils der Bevölkerung gilt als ein wesentlicher Faktor für die schwächere Produktivität, die Portugal im Vergleich mit vielen anderen EU-Ländern ausweist.

Dass hier sehr viel passiert ist, lässt sich daran ablesen, dass der Anteil vor zehn Jahren noch bei fast 73 Prozent lag. Zur Absenkung der Quote bei gleichzeitiger Ausweitung der Bevölkerungsanteile mit Berufsausbildung (2014: 24,0 Prozent) und Hochschulabschluss (19,7 Prozent) wurde eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen und es wurde massiv investiert, nicht zuletzt mit Hilfe der EU-Fördermittel.

Arbeitnehmer mit langjähriger Berufserfahrung, aber ohne entsprechende Ausbildung, können zum Beispiel ihr Erfahrungswissen über ein spezielles Programm (RVCC) zertifizieren lassen. Maßnahmen auch zur Berufsausbildung enthalten im Rahmen der neuen EU-Fördermittelperiode Portugals Operationelle Programme "Humankapital" und "Soziale Inklusion und Beschäftigung", in die bis 2020 EU-Mittel in Höhe von jeweils 3,1 Milliarden und 2,1 Milliarden Euro fließen sollen.

Durch diese doppelte Herausforderung sind an der Umsetzung der bildungspolitischen Maßnahmen zur Berufsausbildung von jungen Menschen und Erwachsenen in Portugal verschiedene Ministerien beteiligt, was die Struktur des Bildungssektors und sein Angebot nicht sehr übersichtlich macht. Als koordinierende Instanz agiert die staatliche Agentur für berufliche Qualifizierung und Ausbildung (ANQEP), die sowohl dem Ministerium für Bildung und Wissenschaften (MEC) und dem Ministerium für Solidarität, Arbeit und Soziales (MSESS) untersteht und sich mit dem Wirtschaftsministerium abstimmen muss.

Während Berufsschulen in den Bereich des Bildungsministeriums fallen, unterstehen die Ausbildungszentren dem Arbeitsministerium und gehören entweder direkt zum Institut für Arbeit und berufliche Qualifizierung (IEFP), werden von Fachverbänden und dem IEFP gemeinsam verwaltet oder arbeiten als private Anbieter mit dem IEFP zusammen. Im Jahr 2015 sollen 35.000 Personen eine grundlegende duale Ausbildung durchlaufen, so das Ziel des IEFP.

Den verbindenden Rahmen für alle Bildungsaktivitäten setzt das 2007 geschaffene Nationale Qualifikationssystem mit einem Katalog, der 40 Bildungs- und Qualifizierungsbereiche abdeckt und 280 nichttertiäre Berufsbilder.

 

OECD macht weiteren Handlungsbedarf aus

 

"Trotz der Verbesserungen, die in den vergangenen Jahrzehnten erreicht worden sind, muss Portugal noch einen langen Weg hinter sich legen, um das strukturelle Defizit bei seinen Qualifikationen zu überwinden", heißt es in einem Bericht der Generaldirektion für Arbeit und Arbeitsbeziehungen (DGERT), die für die Zertifizierung der Ausbildungsstätten zuständig ist.

Das Ausbildungsniveau der Bevölkerung insgesamt und vor allem älterer Arbeitskräfte liege immer noch deutlich unter dem EU-Schnitt und müsse verbessert werden, um die Expansion der Unternehmen in wissensintensive Aktivitäten zu erleichtern.

Handlungsansätze liefert die Kompetenzstrategie der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) für Portugal, die OECD-Generalsekretär Angel Gurría im April 2015 in Lissabon vorstellte (OECD Skills Strategy Diagnostic Report for Portugal). Portugal habe bedeutende Fortschritte gemacht, um die Qualität und Flexibilität der Berufsausbildung zu verbessern, sagte Gurría, doch seien weitere Verbesserungen nötig, um sicherzustellen, dass das System kohärent und gut darstellbar sei und dem Bedarf des Arbeitsmarkts entspreche. "Das umfasst ein größeres Gewicht des arbeitsbasierten Lernens und die verstärkte Einbeziehung von Unternehmen und anderen Interessensvertretern", betonte er und regte unter anderem an, die Arbeitgeber mit Anreizen dazu zu bewegen, sich an der Qualifikation zu beteiligen.

Portugiesische Niederlassungen deutscher Unternehmen haben diesen Weg schon vor vielen Jahren beschritten. Im Wissen um den Vorteil, den die Verknüpfung von Theorie und Praxis für eine fundierte Ausbildung hochqualifizierter Mitarbeiter hat, haben einige von ihnen, darunter AEG, Bosch, Hoechst, Miele, Siemens, schon vor mehr als 30 Jahren zusammen mit der Auslandshandelskammer (AHK) Portugal zwei duale Ausbildungszentren ins Leben gerufen.

Damals mangelte es an praxisorientierten Ausbildungsgängen, Fachkräfte waren schwer zu finden. "Wir haben das deutsche System erfolgreich an die portugiesische Realität angepasst, ohne wesentliche Teile aufzugeben", erklärt Hans-Joachim Böhmer, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der AHK Portugal.

In den unter der Marke DUAL zertifizierten Ausbildungszentren werde neben dem deutschen auch ein portugiesischer Berufsabschluss erworben und zugleich die portugiesische Hochschulreife.

Was einst in Zusammenarbeit mit einem Dutzend Ausbildungsbetrieben und einer Ausbildung zum Industriekaufmann begann, ist heute ein landesweit anerkanntes Referenzsystem in Sachen dualer, praxisnaher Berufsausbildung auf Sekundarniveau:

Die drei DUAL-Berufsbildungszentren in Lissabon, Porto und Portimão (Algarve) arbeiten mit rund 300 Betrieben zusammen. Jährlich sind etwa 2.500 Menschen in beruflichen Aus- und Weiterbildungskursen eingeschrieben. Das Angebot umfasst mittlerweile ein Dutzend Berufsbilder, darunter Speditions- und Logistikkaufmann/frau, Kfz-Lackierer/in, Mechatroniker/in, Hotelkaufmann/frau, Bürokaufmann/frau.

 

Botschafter der deutschen dualen Ausbildungsphilosophie

 

Und die Ausbildungsbetriebe haben längst nicht mehr nur einen deutschen Hintergrund, sondern sind mehrheitlich portugiesisch.

In verschiedenen Ausbildungskursen arbeiten die DUAL-Zentren mit dem IEFP zusammen, der die Finanzierung übernimmt. So wurde im März ein Kooperationsabkommen unterzeichnet, durch das das berufliche Bildungszentrum DUAL in Porto Weiterbildungskurse für arbeitslose Erwachsene im Rahmen der 2013 eingeführten arbeitsmarktpolitischen Maßnahme "Aktives Leben - Qualifizierte Beschäftigung" durchführt. Sie finden in den Bereichen Produktionsmanagement, Logistik, Ein- und Verkauf von Kfz-Ersatzteilen, Kfz-Lackierung, Empfang in Kfz-Werkstätten, Hotellerie, Gaststättengewerbe und Handel statt.

"Eine wichtige Kennziffer für den Erfolg unseres Systems ist die Übernahme- oder Einstellungsquote, die bei über 90 Prozent liegt", so Kammergeschäftsführer Böhmer. Das Unternehmen sei von der Auswahl der Auszubildenden bis zum Berufsabschluss aktiv an der Ausbildung beteiligt und zeige dadurch Interesse an der zukünftigen Einstellung des Auszubildenden.

Durch die hohe Beschäftigungswirkung genießt diese unternehmensnahe Ausbildung große Anerkennung in der portugiesischen Politik und Wirtschaft und trägt zur Verbreitung der Philosophie dualer Ausbildung bei. Über die Absolventen entwickeln sich Karrierebeispiele, was den Ruf dualer Ausbildung stärkt.

Aufklärung tut weiterhin not, da traditionell der Weg der Berufsausbildung in Portugal eher noch als zweite Wahl gilt, Eltern ein Studium für ihre Kinder vorziehen.

Böhmer hält es für wesentlich, dass ein Land bei der Einführung der dualen Berufsausbildung seinen eigenen Weg geht und sich an seinen eigenen Realitäten orientiert.

Anschauung und Austausch sind gefragt. Zum Beispiel im Rahmen des bilateralen Bildungsaustausches, den Deutschland und Portugal im November 2012 für drei Jahre in einem Memorandum unterzeichnet haben. So organisierte die AHK Portugal als Teil des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekts VETnet (AHK-Netzwerk für duale Ausbildung und Training) zum Berufsbildungsexport, eine Studienreise portugiesischer Sozialpartner (Vertreter von Ministerien, Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften) nach Deutschland. "Die Teilnehmer konnten sich mit allen Facetten der dualen Ausbildung in Deutschland vertraut machen", erklärt Fátima Pires, Projektkoordinatorin der AHK Portugal im Bereich Berufliche Qualifizierung DUAL. Besucht wurden neben Berufsschulen und einer überbetrieblichen Ausbildungsstätte Ausbildungsbetriebe ganz unterschiedlicher Größenordnung, darunter auch eine Schreinerei mit drei Lehrlingen.

In Portugal mit seinem hohen Gewicht an Klein- und Kleinstunternehmen, ist der Gedanke, einen Lehrling auszubilden und zu finanzieren für viele Firmen noch fremd. Auf die Studienreise folgte eine Informationsreise mit portugiesischen Medienvertretern nach Deutschland.

Auch in umgekehrte Richtung ist die AHK Portugal aktiv. Sie organisierte im November 2014 eine Markterkundungsreise, die 20 deutschen Unternehmen aus dem Bildungssektor einen Überblick über den portugiesischen Bildungsmarkt verschaffte. Das Projekt war Teil des Markterschließungsprogramms für KMU (kleine und mittlere Unternehmen) des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Am 23.6.15 folgt im Zuge des deutsch-portugiesischen Bildungsaustauschs die Organisation einer Konferenz zum Thema "Berufsausbildung - Wettbewerbsfähigkeit und wirtschaftliche Prosperität", an der die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Johanna Wanka und Portugals Minister für Bildung und Wissenschaft Nuno Crato teilnehmen werden.

Ein weiteres prominentes Beispiel für duales Ausbildungsengagement in Portugal ist die Bildungsakademie ATEC (Associação de Formação para a Indústria). Als gemeinnützige Einrichtung wurde das Ausbildungs- und Trainingszentrum 2004 von Volkswagen Autoeuropa, Siemens und Bosch mit Beteiligung der AHK Portugal gegründet.

Der Ursprungsgedanke war, eine duale Ausbildung nach deutschen Standards aufzubauen, Synergien der drei Unternehmen zu nutzen und hochqualifizierte Mitarbeiter auszubilden - nicht nur für die eigenen Unternehmen, sondern auch die Zulieferindustrie und lokale Firmen - und darüber die Automobil- und Elektronik-Cluster vor Ort zu stärken.

Der Sitz des Ausbildungszentrums könnte werksnäher kaum sein - im Industriepark Palmela südlich von Lissabon, der Adresse von Volkswagen Autoeuropa und zahlreicher Zulieferfirmen. Dort verfügt es über Schulungsräume, elf Werkstätten, ein Zentrum für Schweißtechnik und 18 Laboratorien. Einen zweiten Standort hat ATEC auf dem Gelände von Siemens in Freixieiro in der Industriestadt Porto.

Im Berufsausbildungsbereich bietet ATEC Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen auf Sekundarniveau und postsekundäre spezialisierte Technologieausbildungen an. Das Programm ergänzt das Angebot der DUAL-Berufsbildungszentren und hat ein auf den spezifischen Industrie- und Engineering-Bedarf zugeschnittenes Profil.

Ausgebildet werden unter anderem Kfz-Mechatroniker, Elektromechaniker, Techniker für Steuerungs- und Computerelektronik, Programmierer, Industrieelektroniker. Bei einigen Berufen, so dem Netzwerk- oder dem Automatisierungstechniker, erstellt die AHK Portugal zusätzlich zum portugiesischen Abschlusszertifikat den deutschen Abschluss.

Unlängst hat ATEC spezielle Ausbildungsgänge für Automatisierung und Informationstechnologien eingerichtet, ein Programm der Zertifizierung zum Industriemechatroniker entwickelt, die Ausbildungskapazitäten im Bereich Schweißtechnik ausgebaut. Hinzu kommt ein breites Fortbildungs- und Beratungsangebot für den Markt.

Der Kooperationsvertrag mit dem IEFP ist ein Jahrzehnt nach der Gründung der Bildungseinrichtung auf zehn weitere Jahre erneuert worden. "Wir setzen auf den jüngsten technologischen Fortschritt", beschrieb die Technische Direktorin Margarida Gomes da Silva in einem Zeitungsinterview einen der Erfolgsfaktoren von ATEC. Ein weiterer sei die enge Verbindung zu den Unternehmen, die es den Auszubildenden erlaube, den praktischen Teil der Ausbildung im realen Arbeitskontext zu durchlaufen. "Die Ausbildung setzt auf die Allianz mit der Praxis", wirbt ATEC bei der Vorstellung der aktuellen Ausbildungsgänge auf seiner Internetseite. Es ist kein Zufall, dass die aktuelle OECD-Kompetenzstrategie zu Portugal ATEC als Beispiel beschreibt.


Quelle: Germany Trade & Invest GTAI, gtai.de, 02.06.2015