Inklusion in der Volksrepublik China

Menschen mit geistiger Behinderung sind in der Volksrepublik (VR) China kaum als Arbeitnehmer zu vermitteln. Deutsche Mittelständler schaffen in der Nähe von Shanghai nun rund 30 Arbeitsplätze für diese Zielgruppe.

In Taicang, einem ehemaligen kleinen Fischerdorf, haben sich in den vergangenen Jahren rund 200 deutsche Firmen angesiedelt. Im November 2014 legten sie den Grundstein für den "Taicang Sino-German Handicapped Workshop".

Sechs junge Chinesinnen und Chinesen sitzen an langen Werkbänken in einem lichtdurchfluteten Büroraum. Sie stanzen und messen, sortieren Kleinteile, Kabel und Schrauben in den Räumen des lokalen Behindertenverbandes in der Taicang Economic Development Area (TEDA). Was wie ein normaler Arbeitsalltag aussieht, ist wohl das erste von ausländischen Unternehmen gemeinsam initiierte Beschäftigungsmodell für Menschen mit geistiger Behinderung in China. Treibende Kraft der Initiative, die vom ortsansässigen Behindertenverband unterstützt wird, sind deutsche Mittelständler.

Nicht ohne Grund: Taicang ist in Deutschland vermutlich bekannter als in China selbst. In den vergangenen rund 20 Jahren haben sich in dem ehemaligen Fischerdorf mit 473.000 Einwohnern, nordwestlich von Shanghai gelegen, rund 200 deutsche Unternehmen angesiedelt. Eine derartige Mittelstandsdichte außerhalb von Ballungszentren dürfte nicht nur in China einmalig sein. "Man kennt und vertraut sich; das Wort der deutschen Firmen hat bei der örtlichen Verwaltung Gewicht", erklärt Daniel Faeh, der die einzige Außenstelle der deutschen Auslandshandelskammer Shanghai in Taicang leitet.

Bereits seit Jahren treffen sich ausländische Unternehmer beim Taicang Roundtable, um sich zu informieren und sich gegenseitig zu helfen. 2006 gründeten sie eine eingetragene Non-Profit-Organisation. 70 ihrer 78 Mitglieder sind deutsche Mittelständler. Nach dem großen Erdbeben 2008 in Sichuan sammelten sie Spenden für den Wiederaufbau einer Schule. Dabei blieben rund 50.000 Euro übrig, die den finanziellen Grundstein für den "Taicang Sino-German Handicapped Workshop" bildeten; seit November 2014 ist er ein registriertes lokales Unternehmen im Aufbau.

Ziel ist es, künftig etwa 30 Menschen mit körperlicher - und vor allem auch geistiger - Behinderung einen industriellen Arbeitsplatz bei marktüblichem Gehalt zu bieten. Das Werkstattkonzept basiert auf einem von der Lebenshilfe Offenburg erarbeiteten Modell.

"Dabei haben wir das gleiche Ausstattungsniveau wie in Deutschland", erklärt Job-Coach Veronica Steuermann. Die Arbeitsgruppenleiterin der Oberland Werkstätten für Menschen mit Behinderungen in Miesbach nutzt ihre Altersteilzeit, um den Aufbau der Behindertenwerkstätte in Taicang ehrenamtlich zu begleiten.

"Wir wollen ein nachhaltiges Konzept entwickeln, das auch in anderen Regionen Chinas angewendet werden kann", erklärt Thilo Koeppe, Vorsitzender des Taicang Roundtable. Gefragt sind dabei tatkräftige Unternehmer wie Dietmar Schenk. Der General Manager der deutschen Firma Mobil Data (Taicang) legt bei der Einrichtung der behindertengerechten Maschinen selbst Hand an. Schließlich ist seine Firma für die Umsetzung von Automatisierung in Arbeitsprozessen verantwortlich.

Nach erfolgreicher Testphase zieht die Werkstatt 2015 in die neue ebenerdige Werkhalle mit Ruhe- und Aufenthaltsraum um. Die Verwaltung der TEDA stellt sie kostenlos zur Verfügung. "Ohne die große Unterstützung vor Ort wäre das alles nicht möglich", erklärt Steuermann. Ein Shuttlebus wird die Mitarbeiter von der Wohnung an ihren Arbeitsplatz bringen. "Wir können es schaffen", gibt sich Veronica Steuermann zuversichtlich, "vorausgesetzt, wir haben genug Arbeit für unsere Werkstatt."

 

Behinderte in China: Die soziale Lage

 

Gemäß der letzten Volkszählung in China im Jahr 2010 waren 85 Millionen Menschen mit sensorischer, emotionaler, physischer oder geistiger Behinderung registriert; davon waren fast 60 Millionen leicht bis mittelschwer behindert. Je nach Behinderungsgrad gelten die Menschen als arbeitsfähig und werden von den staatlichen Verbänden für Menschen mit Behinderungen in Firmen vermittelt. Diese erhalten je nach Anzahl sowie Behinderungsgrad derartig Beschäftigter Rückerstattungen von der Unternehmens- und Mehrwertsteuer.

Doch eine Vermittlung von Menschen mit geistiger Behinderung ist kaum möglich. Sie beantragen an ihrem registrierten Wohnsitz (Hukou) finanzielle Unterstützung. Gewährt wird sie von der Lokalregierung und variiert daher landesweit, beträgt jedoch umgerechnet höchstens 50 bis 70 Euro pro Monat.


Quelle: Germany Trade & Invest GTAI, Artikel aus "markets International", Ausgabe Januar 2015, 23.03.2015